2009 folgte Univ.-Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf dem Ruf vom renommierten UKE in Hamburg nach Aachen und übernahm die Leitung der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation. Prof. Brümmendorf, ebenfalls Leiter des von ihm initiierten, Euregionalen Krebszentrums ECCA an der Uniklinik RWTH Aachen, und sein Team bieten Patienten mit einer bösartigen Erkrankung eine fachübergreifende, interdisziplinäre und umfassende Versorgung.
Prof. Brümmendorf, was macht Krebs in der Erforschung so herausfordernd?
Prof. Brümmendorf: Mit einem Satz: Das, was wir alltagssprachlich „Krebs“ nennen, ist medizinisch überaus komplex. Bisher sind 250 – manche Krebsforscher sprechen auch von etwa 300 – Krebsarten und Subtypen bekannt. Sie unterscheiden sich erheblich, was Entstehungsgeschwindigkeit, Aggressivität, Neigung zur Metastasenbildung und damit Behandlungsmöglichkeiten und Überlebenschancen angeht. Die Krebsmedizin hat es hierzulande jedes Jahr mit 500.000 neuen, individuell unterschiedlichen Tumorbiologien zu tun, und hinter jeder Tumorerkrankung steht ein Individuum mit persönlicher Vorgeschichte, Begleiterkrankungen, Ängsten und Erwartungen. Sie sehen, wir haben es mit einer enormen Variationsbreite individueller Situationen zu tun, der wir gerecht werden wollen.
Welchen Forschungsansatz verfolgt Ihr Team?
Prof. Brümmendorf: Wir sind davon überzeugt: Wer Krebs erfolgreich behandeln möchte, muss interdisziplinär denken und sich mit allen Partnern in der Klinik, in der Region und darüber hinaus vernetzen. Unser Krebszentrum wird von der Deutschen Krebsgesellschaft als bislang einziges Zentrum der Region als Onkologisches Zentrum anerkannt. Als Kooperationsverbund aller Kliniken und Institute der Uniklinik RWTH Aachen zertifiziert, stehen wir im engen Austausch mit anderen Kliniken und ambulanten Partnern und bieten Patienten eine fachübergreifende Versorgung. Diesen Ansatz verfolgen wir auch in unserer Forschung und arbeiten eng mit den anderen akademischen Zentren der Region zusammen – nicht nur in Deutschland, sondern auch grenzübergreifend mit den Unikliniken in Lüttich und Maastricht im Rahmen eines von Interreg geförderten, grenzübergreifenden Verbundprojekts namens OncoCare.
Gibt es dabei spezielle Schwerpunkte in Ihrer Arbeit?
Prof. Brümmendorf: Ja. Uns interessiert erstens die Erforschung von zielgerichteten Therapiestrategien gegen Krebs und Leukämien, die sogenannte personalisierte Medizin. Personalisierte Krebsmedizin steht für individualisierte Behandlungen und Therapien, die gezielt den Bedürfnissen der einzelnen Patienten angepasst sind. Individuell insofern, als schon lange bekannt ist, dass gleiche Krankheiten bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedlich verlaufen können. Das liegt zum einen daran, dass aufgrund ihrer molekularen Verschiedenartigkeit nicht alle Tumorerkrankungen gleich auf eine Therapie reagieren, andererseits aber auch nicht alle Patienten, zum Beispiel wegen Begleiterkrankungen für alle Therapieangebote geeignet sind bzw. diese annehmen möchten. Ziel der personalisierten Krebsmedizin ist, dass jede Patientin und jeder Patient zu jedem Zeitpunkt die auf ihre bzw. seine Erkrankungssituation bestmöglich abgestimmte, molekular zielgerichtete Therapie erhält. Unser Interesse gilt zudem der Erforschung von Grundlagen der Krebs- und Leukämieentstehung. Letztere Arbeiten sind eng mit der klinischen Diagnostik und der klinischen Forschung verzahnt und zielen darauf ab, neuartige Therapiestrategien zur Verbesserung des Behandlungserfolges für Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen zu entwickeln. Außerdem arbeiten wir an zellbasierten Therapien gegen Krebs, wie der Stammzell- und der Immuntherapie. Dabei soll sich das Immunabwehrsystem, ähnlich wie bei einer Impfung, gegen die Tumorzellen richten. Ein vierter Schwerpunkt liegt auf der Lebensqualität und Unterstützungsangeboten während und nach der Krebsbehandlung. Hier gilt es noch viel zu verbessern. Mit Projekten wie leben mit krebs aachen und Brückenschlag versuchen wir nachzuweisen, dass solche Initiativen für Patienten, Angehörige und Familien die Lebensqualität verbessern und wirksame Instrumente sind, die überall verfügbar sein sollten.
Stichwort „Big Data“ – welche Rolle spielen Daten und Register bei der Forschung?
Prof. Brümmendorf: Eine entscheidende, denn hier werden die Behandlungs- und Versorgungsdaten der Krebspatienten dokumentiert. Die Daten werden von Ärzten und Wissenschaftlern des Zentrums ausgewertet und dazu eingesetzt, langfristig die Therapie von Tumorerkrankungen sowie die Ergebnisse der Behandlungen zu verbessern. Ein Krebsregister, idealerweise in Kombination mit einem Bioregister, wie wir das beispielsweise im Bereich von Leukämien und deren Vorformen aufgebaut haben, ist also ein zentraler Baustein, um Entscheidungen auf Grundlage realer Daten treffen und überprüfen zu können und nachhaltig medizinischen Fortschritt in der Versorgung von Krebspatienten zu ermöglichen.
Die Einrichtung des Krebszentrums ist in dieser Form einzigartig in der Region: Als fachübergreifende Einheit wird hier die medizinische Behandlung von Krebspatienten zwischen allen Kliniken, Behandlern und Unterstützern optimal koordiniert und abgesprochen. Außerdem werden Tumorerkrankungen umfassend erforscht: Im Zentrum sind viele Ärzte und Wissenschaftler damit beschäftigt, neuartige wissenschaftliche Entwicklungen und Erkenntnisse in die Optimierung von Therapien einfließen zu lassen.