„Die größte Erfolgsstory der Medizin der vergangenen 30 Jahre“
In diesem Jahr erhalten die US-Amerikaner Harvey J. Alter und Charles M. Rice sowie der Brite Michael Houghton für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus den Nobelpreis der Medizin. Univ.-Prof. Dr. med. Christian Trautwein, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin (Medizinische Klinik III) an der Uniklinik RWTH Aachen, erläutert im Interview die Bedeutung des Wirkens der drei Wissenschaftler.
Herr Prof. Trautwein, was genau haben die drei Wissenschaftler entdeckt?
Prof. Trautwein: Es gibt verschiedene Formen der Virus-Hepatitis, A und B waren schon bekannt. Zusätzlich gab es die häufig vorkommende jedoch noch nicht bekannte Form der Non-A-Non-B-Hepatitis. Es wurde früh davon ausgegangen, dass es sich hier um eine weitere Virus-bedingte chronische Lebererkrankung handelt, die auf ein noch nicht bekanntes Virus zurückzuführen ist. Sehr viele Patientinnen und Patienten starben an den Folgen der chronischen Non-A-Non-B-Hepatitis infolge einer Leberzirrhose oder eines Leberzellkarzinoms (HCC). Dann, es war die Zeit rund um die Deutschen Einheit, gelang es den Wissenschaftlern, das Hepatitis-C-Virus (HCV) zu entdecken. Das war eine der ersten molekular definierten Entdeckungsreisen in der Medizin und diese drei Leute waren nicht nur bei der Entdeckung dabei, sondern haben auch erste diagnostische Systeme entwickelt, mit denen neue Therapien abgeleitet und getestet werden konnten. Innerhalb von 25 Jahren wurde das Virus entdeckt, es wurden Diagnostik-Kits entwickelt und das Virus konnte sehr effektiv innerhalb von acht Wochen behandelt werden. Daher geht man aktuell davon aus, dass durch diese Maßnahmen die Möglichkeit besteht HCV mittelfristig in der westlichen Welt vollständig zu eradizieren, also zu eliminieren. Daher ist die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus, der Aufbau diagnostischer Kits und seine Therapie die größte Erfolgsstory der Medizin der vergangenen 30 Jahre.
Die Forscher sind also gleich mehrfach Nobelpreis-würdig – für Entdeckung wie auch Bekämpfung von Hepatitis C?
Prof. Trautwein: Die initiale Entdeckung ging vor allem auf Michael Houghton, aber auch Harvey Alter zurück, Charles Rice hat das Replikationssystem entwickelt, mit dem neue Therapie gegen das Virus entwickelt werden konnten. Interessanterweise wurde die Entwicklung parallel durch Ralf Bartenschlager in Heidelberg federführend gestaltet. Er hat als erster das HCV-Replikationssystem publiziert. Somit haben die drei aber eigentlich die vier Pionierarbeit auf dem Gebiet der Hepatitis C-Virus geleistet, als deren Folge jetzt eine schnelle Diagnose gestellt und eine effektive Therapie begonnen werden kann. Für Ralf Bartenschlager tut mir dies sehr leid, da er eigentlich als erster das entscheidende HCV-Replikationssystem entwickelt hat und bei der Auszeichnung jetzt leer ausging.
Wie groß war das Hepatitis-C-Problem vor der Entdeckung und wie ist es heute?
Prof. Trautwein: Vor seiner Entdeckung war es ein riesiges Problem. Über lange Zeit waren Patientinnen und Patienten mit Hepatitis-C-Infektion die größte Gruppe, die lebertransplantiert werden mussten. Das Problem war, dass wir in den 1970er und 1980er Jahren sehr viele Drogenabhängige hatten, und ein halbes Jahr Drogenabhängigkeit bedeutete in der Regel eine Hepatitis-C-Infektion. Und jetzt ist es so, dass wir fast jeden Fall mit den entwickelten molekular definierten Therapien behandeln können und das Virus dadurch hemmen und in der Folge eliminiert wird.
Inwiefern wird Hepatitis C aktuell noch beforscht?
Prof. Trautwein: Die Forschung bewegt sich nur noch im Bereich einer möglichen Impfstoffentwicklung. Das ist bislang, wie zunächst bei Corona oder auch Hepatitis B nicht erreicht worden. Hepatitis C ist an der Oberfläche, anders als Corona, sehr variabel und dies macht es so schwierig, einen Impfstoff zu entwickeln, obwohl es da intensive Bemühungen gibt. Aber man muss auch sagen: Die Entwicklung der Diagnostik und der Therapie ist abgeschlossen. Wir werden keine neuen Substanzen für die Therapie absehbar mehr zugelassen bekommen, weil die aktuellen Substanzen so effektiv sind das Virus schnell zu eradizieren. Daher bedarf es aktuell keine weiteren Medikamente, deren Entwicklung auch sehr teuer ist. Damit ist das Medical Need, also die Notwendigkeit, in dieser Richtung weiter zu investieren, nicht mehr gegeben.
Das heißt, wir müssen uns keine Sorgen um eine Erkrankung mit Hepatitis mit schlimmen Folgen machen?
Prof. Trautwein: Die Infektion mit dem Virus kann schon noch passieren, aber wir wissen, dass wir mit der Therapie sehr schnell und sehr nebenwirkungsarm das Virus eliminieren können – und das ist meist binnen acht Wochen möglich. In den Ländern der Dritten Welt ist Hepatitis C weiterhin ein Problem, weswegen die Impfstoffentwicklung wichtig bleibt, aber in Europa ist Hepatitis kein relevantes Problem mehr. Es gibt allerdings auch bei uns noch eine geringe Zahl von Patientinnen und Patienten, die nicht entdeckt werden, weswegen wir im Bereich der Massenscreenings noch Verbesserungspotenzial sehen. Aber sobald es erkannt wird, ist Hepatitis C kein Problem mehr.
Wie kann ich Hepatitis C selbst erkennen?
Prof. Trautwein: Das ist das Schwierige. Meistens ist der Körper sehr lange stumm, die Leber ist ein gutmütiges Organ, erst wenn ein großer Prozentsatz der Leber zerstört ist, haben Patientinnen und Patienten spürbare Probleme. In manchen Fällen wird Hepatitis C von Müdigkeit und depressiven Symptomen begleitet, aber Signale wie eine Schnupfnase oder Ähnliches haben wir leider nicht.
Wie ist das Thema bei Ihnen in der Uniklinik RWTH Aachen präsent?
Prof. Trautwein: Die Bezugspunkte sind nur noch klinische. In der Forschung ist es nicht mehr präsent, wobei wir in Deutschland auf dem Gebiet der Hepatitis C ganz klar mit sehr vielen Studien federführend Innovationen erzeugt haben. Das Schöne ist, binnen weniger als 30 Jahren wurde da ein Problem erkannt und dann auch noch gelöst. Und das ist auch ein Erfolg der deutschen Hochschulmedizin. Das ist cool! Natürlich sind wir daran interessiert, dass es einen Impfstoff geben wird, denn dann ist auch noch der Aspekt der Prävention erfolgreich gelöst und wir haben das Virus allumfänglich erfolgreich bekämpft. Aber die Wissenschaft hat sich längst neuen spannenden Aufgaben zugewandt.