Künstliche Intelligenz (KI) kann im Gesundheitswesen vielfältig eingesetzt werden: Etwa zur Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten, zur Vereinfachung von Diagnosestellungen oder zur Optimierung von Therapieoptionen. Besonderes Potenzial bietet auch der sogenannte Digital Twin, ein Modell, das ein konkretes System modelliert und sich damit spezifisch an die individuelle Situation von Patientinnen und Patienten anpasst. Ein Überblick über die Chancen und Hürden von KI in der Medizin.
Unter den Begriff Künstliche Intelligenz fallen alle Algorithmen, die das Verhalten komplexer Systeme und Zusammenhänge selbstständig aus Daten erlernen und anwenden können. Die KI kann damit einen Beitrag bei Fragestellungen leisten, bei denen es heute noch kein ausreichendes Fachwissen gibt. Da ein KI-System eine dauerhafte, gleichbleibende Qualität der Arbeit ermöglicht, bieten sich zudem Anwendungsfelder wie die Analyse von komplexen Daten für monotone Routinetätigkeiten für einen Einsatz an.
Auch die Medizin hat das Potenzial der KI schon lange erkannt. Mit ihrer Fähigkeit, eine enorme Datenbasis zu erzeugen, kann die KI zur Entwicklung neuer medizinischer Anwendungen beitragen. Fachbereiche wie die Radiologie, Pathologie und Kardiologie nutzen aber auch schon heute etablierte Lösungen, die Fachärztinnen und -ärzte in ihrer Arbeit unterstützen sollen. „Weitere vielversprechende Anwendungsgebiete der KI sehen wir bei der Diagnostik komplexer und seltener Erkrankungen, der Prognose individueller Krankheitsverläufe und der Optimierung von Therapiestrategien“, erklärt Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Andreas Schuppert, Leiter des Instituts für Computational Biomedicine der RWTH Aachen, sowie Gründer und Direktor des Joint Research Center for Computational Biomedicine.
Individuelle Anpassung an Patientinnen und Patienten möglich
Eine Chance für den medizinischen Fortschritt verbinden Expertinnen und Experten auch mit der Entwicklung eines sogenannten Digital Twins. Es handelt sich dabei um ein Modell, das ein individuelles System modellieren und simulieren kann. Der Digital Twin hat damit, anders als der Chatbot ChatGBT, zwar kein breites Wissen, dafür ist er spezialisiert auf ein konkret zugeschnittenes Einsatzfeld. Diese Eigenschaft macht ihn besonders effektiv, da er spezifisch auf die individuelle Situation von Patientinnen und Patienten trainiert werden kann, ohne Wissen ohne Relevanz für den individuellen Patienten ebenfalls kennen zu müssen. Im medizinischen Kontext soll das Modell der Simulation krankheitsrelevanter Parameter für einen individuellen Patienten dienen. Ein Digital Twin kann damit die Behandlung von Patientinnen und Patienten unterstützen und auf diese Weise das Gesundheitspersonal entlasten, zum Beispiel durch Simulationen in der Operations- und Behandlungsplanung.
Methodische und konzeptionelle Hürden
Einfache Digital Twins sind im Ausland bereits gängige Praxis im Klinikalltag. Weiterentwickelten Versionen, die beispielsweise für die Therapie komplexer Erkrankungsbilder eingesetzt werden können, mangelt es derzeit noch an zuverlässigen Modellen. „Das lässt sich nur durch die Kombination von KI mit medizinischem Wissen und speziellen Trainingsstrategien lösen – ein aktuelles Forschungsthema bei uns“, erklärt der Institutsleiter.
Auf dem Weg zu einem komplexen Digitalen Twin zeigen sich darüber hinaus weitere methodische und konzeptionelle Hürden, die es zu bewältigen gilt. Das betrifft beispielsweise die Trainingsdaten: Die KI kann nur so gut sein, wie die Daten, von denen sie lernt. Basieren diese auf ärztlichen Entscheidungen, besteht das Risiko, dass die KI Fehler übernimmt und dadurch keine Verbesserung erreicht. Weitere Schwierigkeiten, die unabhängig vom medizinischen Kontext bestehen können, stellen zum Beispiel die noch unzureichende Erklärbarkeit der Ergebnisse und die erforderliche Schulung der Anwenderinnen und Anwender dar.
Medizinischer Fortschritt durch KI
Zukünftig ist eine Ausweitung der Künstlichen Intelligenz in der Medizin zu erwarten: Anwendungsfelder können zum Beispiel das Monitoring in der häuslichen Pflege sein, um drohende Risiken zu erkennen und Hospitalisierungen zu vermeiden. Ähnliche Systeme sind bereits für den Einsatz in der Intensivmedizin in Entwicklung. Auch die Diagnose seltener Erkrankungen lässt sich durch die KI verbessern, da sie die Fähigkeit besitzt, komplexe Muster in Datenbanken automatisiert zu erkennen. „Insgesamt können alle medizinischen Bereiche, bei denen komplexe Erkrankungsmuster zu erwarten sind und viele heterogene Daten eines Patienten erfasst werden, von der KI profitieren. Künftig kann die KI damit Bereiche wie die Notaufnahme, die Onkologie, die Wundversorgung, die Dermatologie bis hin zur Operationsplanung unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass aber erst die Integration von medizinischem Wissen über die zugrundeliegenden Mechanismen mit der KI die konzeptuellen technischen Probleme löst und sie ihr Potenzial entfalten kann“, resümiert Prof. Schuppert.