Die zielgerichtete und erfolgversprechende Therapie einer Erkrankung beruht auf einer exakten Diagnose und korrekten Beurteilung der Art der Erkrankung sowie ihrer Eigenschaften. Insbesondere die Zahl der Lungenerkrankungen nimmt weltweit zu, die Diagnostik wird umfangreicher und komplizierter. Um eine Sicherstellung und Verbesserung der histopathologischen und molekularbiologischen Diagnostik in diesem komplexen Erkrankungsumfeld zu gewährleisten, hat das Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Danny Jonigk Anfang 2024 das neue Referenzzentrum für Lungenpathologie ins Leben gerufen. Im Interview spricht der erfahrene Pathologe gemeinsam mit seinem Leitenden Oberarzt, Dr. med. Florian Länger, über die Absichten der Zentrumsgründung, ihre Aufgaben und Ziele.
Herr Prof. Jonigk, Sie haben das Referenzzentrum für Lungenpathologie gegründet. Einordnend zunächst die Frage: Was versteht man unter dem Begriff Referenzpathologie?
Prof. Jonigk: Eine Referenzpathologie hat allgemein die Aufgabe, zur Klärung kritischer oder schwieriger pathologischer Befunde beizutragen. Um diesen Anforderungen zu genügen, muss nicht nur eine technisch-infrastrukturell, zum Beispiel für die Molekularpathologie, ausreichende Ausstattung vorhanden sein, sondern ebenfalls eine breite diagnostische und wissenschaftlich fundierte Expertise der verantwortlichen Pathologen.
Warum wurde gerade für Lungenerkrankungen ein Referenzzentrum ins Leben gerufen?
Prof. Jonigk: Die Anforderungen an die differenzierte feingewebliche und molekulare Diagnostik sowohl für Tumorerkrankungen als auch entzündliche oder fibrosierende Erkrankungen der Lunge haben durch die modernen Möglichkeiten der zielgerichteten Therapie erheblich zugenommen. Jedoch besteht aufgrund der niedrigen Inzidenz beispielsweise kindlicher Lungenerkrankungen oder interstitieller Lungenerkrankungen häufig keine ausreichende diagnostische Erfahrung in kleineren Zentren. Aufgrund der langjährigen Erfahrung in der Diagnostik und unseres wissenschaftlichen Schwerpunktes im Bereich der Lungenerkrankungen ist die Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen für die Etablierung eines Referenzzentrums für Lungenpathologie hervorragend geeignet.
Herr Dr. Länger, Pneumologie und Pathologie arbeiten im klinischen Kontext eng zusammen.
Wie hat sich diese Entwicklung vollzogen? Wann kommt die Pathologie heute ins Spiel und wie sind ihre Aufgaben?
Dr. Länger: Im Bereich der Tumorerkrankungen der Lunge geht die Rolle der Pathologie inzwischen weit über die histopathologische Diagnosestellung hinaus. Für das Planen der Therapie benötigt der klinisch-onkologische Kollege detaillierte Informationen zu den genetischen Veränderungen des Tumors. Diese Befunde werden in Zusammenschau mit dem klinischen Kontext in interdisziplinären Konferenzen besprochen. Von ebenso großer Bedeutung ist die Zusammenarbeit des Röntgenfacharztes, Lungenfacharztes und Pathologen in der Diagnostik von nicht-tumorösen Lungenerkrankungen. Bei Krankheitsbildern, die durch Zusammenschau von Klinik und Bildgebung nicht eindeutig einzuordnen sind, erfolgt in der Regel eine Gewebsentnahme, die zur endgültigen Klärung des Erkrankungsbildes beiträgt.
Was sind die Aufgaben und Ziele des Referenzzentrums für Lungenpathologie?
Dr. Länger: Das Referenzzentrum für Lungenpathologie bietet seine ausgewiesene diagnostische Expertise in allen Fällen der Tumorerkrankungen der Lunge sowie nicht-tumoröser Erkrankungen an. Dies beinhaltet eine Hilfestellung für Kollegen aus der Pathologie bezüglich der Einordnung von Befunden, das Durchführen ergänzender Untersuchungstechniken, insbesondere der Molekularpathologie, aber auch eine Unterstützung und Beratung klinischer Kolleginnen und Kollegen beispielsweise im Rahmen von interdisziplinären Konferenzen.
Wer kann die Leistungen in Anspruch nehmen?
Dr. Länger: Kolleginnen und Kollegen aus der Pathologie, ebenso klinisch Tätige können Gewebeproben an das Referenzzentrum einschicken beziehungsweise einschicken lassen. Zusätzlich können uns Patienten gerne bezüglich einer Zweitmeinung zu bereits vorliegenden Untersuchungen kontaktieren.
Inwieweit profitieren Patientinnen und Patienten davon?
Dr. Länger: Für die differenzierte Diagnostik, insbesondere seltener Erkrankungen der Lunge sowie selteneren Ausprägungen häufiger Lungenkrankheiten, bedarf es breiter diagnostischer Erfahrung und gegebenenfalls eines erweiterten Methodenspektrums – dies ist die Kernkompetenz eines Referenzzentrums. Wie bereits ausgeführt, beruht der sinnvolle Einsatz moderner, häufig auch zielgerichteter Therapieverfahren auf einer exakten, feingeweblichen und/oder molekularen Diagnose. Das heißt, erst durch die korrekte Einordnung eines Befundes wird eine für den Patienten optimale Planung der Therapie ermöglicht.
Wie kommt man von einer Gewebeprobe zu einer Diagnose?
Prof. Jonigk: Die Notwendigkeit einer Gewebeprobe für die Einordnung einer Lungenerkrankung ergibt sich nach voriger klinischer und bildgebender Diagnostik; das bedeutet, die klinischen Kollegen stellen die Indikation für eine Gewebeentnahme. Dabei werden heutzutage zunächst weniger invasive, also nicht-chirurgische, Techniken bevorzugt, wie zum Beispiel Zangen- oder Nadelbiopsien. Diese Proben werden nach streng standardisierten Verfahren in der Pathologie aufgearbeitet und führen zu gefärbten Schnittpräparaten, die am Mikroskop befundet werden können. Dieses Vorgehen erlaubt in vielen Fällen bereits eine endgültige Diagnose. Nur noch selten muss heutzutage eine größere Gewebeprobe durch einen chirurgischen Eingriff für die endgültige Diagnose gewonnen werden.
Funktioniert das wirklich immer und bei allen Lungenkrankheiten?
Prof. Jonigk: Sowohl die Histologie als auch die Molekularpathologie stoßen bei der Zuordnung von krankhaften Veränderungen zu Auslösern an Methoden-immanente Grenzen. Die Pathologie ist sehr gut darin, Veränderungen der Lunge exakt zu beschreiben und zu klassifizieren, jedoch können morphologisch sehr ähnliche Veränderungen teilweise sehr unterschiedliche Ursachen haben. So kann ein akutes Schadensmuster der Lunge wie der Nachweis hyaliner Membranen (sogenannter diffuser Alveolarwandschaden) beispielsweise durch einen massiven Blutverlust, eine Virusinfektion oder durch Medikamente ausgelöst werden. Daher ist die enge Interaktion von Röntgenfacharzt, Lungenfacharzt, Pathologen und anderen klinischen Disziplinen häufig unverzichtbar.
Welche Rolle spielen Geräte und Technik in Ihrem Beruf?
Dr. Länger: Die Aufarbeitung von Gewebeproben hat sich im grundsätzlichen Ablauf in den letzten Jahrzehnten zwar nicht wesentlich verändert, jedoch hat die Automatisierung in der Pathologie zu einer erheblichen Reduktion der händigen Arbeitsschritte beigetragen. Am eindrucksvollsten ist der technische Fortschritt jedoch im Bereich der molekularen Diagnostik: Durch moderne Methoden der massiven Parallelsequenzierung können mit einer mittleren Bearbeitungszeit von zwei Wochen nicht nur einzelne Gene, sondern auch das komplette Genom eines Tumors entschlüsselt werden.
Wie verhält es sich mit der sogenannten Künstlichen Intelligenz? Könnte sie in Zukunft die Arbeit der Pathologen ersetzen?
Prof. Jonigk: Die Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen wird noch im Jahre 2024 die Arbeitsabläufe weitgehend digitalisieren, das heißt, die Befundung erfolgt nicht mehr an Schnittpräparaten durch das Mikroskop, sondern am Monitor anhand der eingescannten Präparate. Diese Umstellung des Arbeitsablaufes ermöglicht den Einsatz von Hilfsprogrammen, die insbesondere die Auswertung von speziellen Färbereaktionen von Eiweißen im Schnittpräparat erleichtern. Darüber hinaus erfolgt die wissenschaftliche Bearbeitung unter der Fragestellung, inwiefern diese digitalen Helfer die Einordnung und Klassifizierung von Diagnosen erleichtern können.
Was bedeutet die Zentrumsgründung für den Standort Aachen?
Prof. Jonigk: Die Zahl der Lungenerkrankungen nimmt weltweit zu, die Diagnostik wird umfangreicher und komplizierter, die Einteilungen vielschichtiger – die Expertise im Feld beziehungsweise die Zahl der erfahrenen Thorax- und Lungenpathologinnen und -pathologen allerdings nicht. Insofern ist unsere Initiative eine dezidierte Stärkung der Uniklinik RWTH Aachen sowie der RWTH Aachen University. Im Institut für Pathologie stehen Expertise und Infrastruktur bereit, welche wir aktuell schon aktiv anbieten. Es ist an der Zeit, diese Aktivität in noch strukturiertere Bahnen zu lenken.