Mehrere tausend Patienten erkranken jedes Jahr am akuten schweren Lungenversagen, dem sogenannten ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome). Dabei arbeitet die Lunge nicht mehr richtig und nimmt Schaden. Schlimmstenfalls kommt es innerhalb weniger Stunden zu schwerem Sauerstoffmangel im Blut. Diesen lebensgefährlichen Zustand kann die Extrakorporale Membranoxygenierung mittelfristig überbrücken, sie ist allerdings mit Komplikationen verbunden. Eine dauerhafte Lösung könnte eine künstliche, biohybride Lunge bieten – an dieser wird in Aachen mit Hochdruck geforscht.
Die menschliche Lunge nimmt eine Vielzahl an Aufgaben wahr, unter anderem den sogenannten pulmonalen Gasaustausch. Sauerstoff muss von der Atemluft ins Blut transportiert und gleichzeitig das im Körper entstehende Kohlendioxid aus dem Blut entfernt werden. Ist dieser Vorgang gestört – sowohl zu wenig Sauerstoff als auch zu viel Kohlendioxid im Körper können zu Organfunktionsstörungen führen –, bedeutet das einen lebensbedrohlichen Zustand. Ursache eines ARDS sind akute Schädigungen der Lunge wie beispielsweise schwere Verletzungen, Einatmen von Erbrochenem, Reizgase, Höhenlungenödem, Lungenentzündung, Schockzustände, Blutvergiftung oder „Beinahe-Ertrinken“. „Diese Schädigungen führen zu einer Entzündungsreaktion in der Lunge, deren weitere Folgen eine Funktionsstörung verursachen, was eine Beatmung und intensivmedizinische Behandlung erforderlich macht – ohne sie verstirbt der Patient“, erklärt Dr. med. Christian Cornelissen, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Pneumologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik RWTH Aachen.
ECMO hilft, hat aber Grenzen
Sollte eine Beatmung den Gasaustausch nicht mehr aufrechterhalten können oder muss eine Schädigung der Lunge durch die Intensität der Beatmung erwartet werden, kann die extrakorporale Membranoxygenierung (engl.: extracororeal membrane oxygenation; ECMO)
die Aufgabe der Lunge für einen begrenzten Zeitraum übernehmen. Sie entfernt überschüssiges Kohlendioxid aus dem Blut und reichert es zugleich mit Sauerstoff an. Hierzu werden große Blutgefäße kanüliert und das Blut durch einen Blut-Gas-Austauscher, den Oxygenator, geleitet, der den lebensnotwendigen Austausch der Atemgase durch eine gasdurchlässige Membran ermöglicht. Jüngste Forschungsergebnisse erlauben eine mittelfristige Anwendung von ECMO-Systemen, ihre Anwendung ist jedoch noch mit Entzündungsreaktionen, Hämolyse, Blutung und Thrombose verbunden. Ursächlich für diese Komplikationen ist die schlechte Blutverträglichkeit der gasdurchlässigen Membran, die in direktem Blutkontakt steht und folglich eine Langzeitanwendung von ECMO verhindert. Die Anwendungsdauer der Membranoxygenatoren ist auf Tage bis maximal Wochen beschränkt. Dr. Cornelissen beklagt zudem: „Leider sterben immer noch sehr viele Patienten an einem schweren akuten Lungenversagen trotz hochmoderner intensivmedizinischer Betreuung.“ Um das zu ändern, forscht der Pneumologe an Alternativen.
Hightech-Forschung mit biohybriden Ansätzen
„Respiratorisches Tissue Engineering“ heißt der Begriff der Stunde. Von biohybriden, also lebenden Atemwegsstents über endobronchiale Zelltherapien arbeiten verschiedene Forschungseinrichtungen in Aachen gemeinsam an dauerhaften Lösungen für verschiedene Fragestellungen. Eine gemeinsame Arbeit über die einzelnen Universitäten hinaus soll diese Entwicklung befeuern. Im Schwerpunktprogramm „Towards an Implantable Lung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft wird unter Beteiligung der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik RWTH Aachen an der Weiterentwicklung der ECMO-Technik gearbeitet.
Eins dieser Projekte, an dem auch Dr. Cornelissen mitwirkt, nennt sich „EndOxy“ und befasst sich mit dem Kernproblem der begrenzten Hämokompatibilität. In dem Projekt vereint sich die Expertise aus der Aachener Uniklinik, der RWTH Aachen University – die NRW-Schwerpunktprofessur Biohybrid & Medical Textiles sowie die Abteilung Cardiovascular Engineering am Institut für Angewandte Medizintechnik sind beteiligt – und dem Leibniz-Institut für Interaktive Materialien. Gemeinsam schlagen sie zur Verbesserung der Blutverträglichkeit einen biohybriden Ansatz mit Endothelzellen vor. „Im menschlichen Körper kleiden Endothelzellen das Lumen, also das Innere von Blutgefäßen aus, wobei sie eine natürliche, nicht-thrombogene Oberfläche bilden, von der bekannt ist, dass sie in direktem Kontakt mit Blut keine entzündlichen und gerinnungsaktivierenden Reaktionen auslöst. Wenn wir die Oxygenatormembran mit autologen Endothelzellen beschichten, verspricht das also eine bessere Verträglichkeit mit dem Blut“, erklärt Dr. Cornelissen.
Neben der Weiterentwicklung von ECMO-Systemen kann die Nutzung lebender Zellen durch das Tissue Engineering auch bei anderen Erkrankungen sinnvoll sein: In Kooperation mit Univ.-Prof. Dr. med. Stefan Jockenhövel, der in Aachen die NRW-Schwerpunktprofessur Biohybrid & Medical Textiles innehat, arbeitet Dr. Cornelissen an der Entwicklung biohybrider Atemwegsstents und endoluminaler Zelltherapien als weitere mögliche Anwendungsfelder des respiratorischen Tissue Engineerings. In Zukunft werden hoffentlich viele Patienten von dieser innovativen Forschung profitieren können.