Weltweit erkranken jedes Jahr mehrere Millionen Menschen an einer Sepsis, der sogenannten Blutvergiftung. Allein in Deutschland zählt man rund 154.000 Sepsis-Patienten pro Jahr, ein Drittel von ihnen stirbt an den Folgen. Die Behandlung ist ein Wettlauf mit der Zeit. Deshalb ist die Entwicklung neuer Strategien zur Diagnose und Therapie von Patienten mit einer Sepsis so wichtig. Ein neuartiger Ansatz dazu basiert auf einer Methode zur spezifischen Regulierung der Aktivität primärer Immunzellen. Diese wurde von einem Forscherteam um Prof. Dr. rer. nat. Antje Ostareck-Lederer, Prof. Dr. rer. nat. Dirk Ostareck und Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx in der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklinik RWTH Aachen entwickelt. Das in ihrem Patent „Modulation of TLR4 signaling pathway“ beschriebene Verfahren ist ein wichtiger Meilenstein für die Entwicklung neuer Therapeutika, um den Verlauf einer Sepsis zu kontrollieren und die Sterblichkeit zu reduzieren.
Es beginnt oftmals scheinbar harmlos, eine Infektion mit Pilzen, Bakterien, Viren oder Parasiten steht häufig am Beginn einer Sepsis. „Unser Körper setzt sich ständig mit verschiedenen Erregern auseinander, die in den meisten Fällen durch unser Immunsystem kontrolliert werden können. Primäre Immunzellen, die im Blut zirkulierenden Makrophagen, werden durch Erreger aktiviert und produzieren Botenstoffe, die Zytokine, die die Aktivität weiterer Komponenten des Immunsystems anregen. Eine Fehlregulation der Immunantwort kann erfolgen, wenn eine hohe Erreger-Belastung eine zu starke Mobilisierung der Makrophagen bewirkt. Die Immunreaktion bleibt dann nicht auf den Infektionsort begrenzt, sondern kann sich im gesamten Körper ausbreiten. Diese Überreaktion führt zu dem lebensbedrohlichen systemischen inflammatorischen Response-Syndrom (SIRS), bei dem das Immunsystem körpereigene Gewebe und Organe schädigt. Makrophagen und andere Immunzellen haben später, im geschwächten Organismus, nicht mehr die Kapazität, um Erreger abzuwehren und deren Wirkung einzugrenzen“, erläutern Prof. Ostareck und Prof. Ostareck-Lederer, die beide international anerkannte Experten im Bereich der Signaltransduktion sind.
Hoffnung auf neue Therapieoptionen
Um die Aktivierung der Zytokin-Synthese, die zur Sepsis führen kann, besser zu verstehen, hat das Forscherteam molekulare Mechanismen der Makrophagen-Aktivierung durch Bakterien genauer untersucht. Komponenten von Bakterien binden an Rezeptoren in der Zellmembran von Makrophagen. Ein solcher Rezeptor (TLR4) wird spezifisch durch bakterielle Lipopolysaccharide (LPS) aktiviert.
Ausgehend von TLR4 Rezeptoren werden in Makrophagen Signalwege initiiert, die schließlich im Zellkern Zytokin-Gene aktivieren und deren Synthese einleiten. Die durch komplexe TLR4-Signalwege induzierte Zytokin-Synthese und -Sekretion mobilisiert über das Blut andere Zellen des Immunsystems. Eine exzessive Zytokin-Synthese, verursacht beispielsweise durch massive Vermehrung oder Freisetzung von Bakterien, kann die Kontrollmechanismen des Immunsystems stören und unspezifische Immunreaktionen auslösen.
„Unserem Team ist es gelungen, einen spezifischen Schritt der Synthese eines zentralen TLR4-Signalmoleküls aufzuklären. Aus dem Verständnis dieses molekularen Mechanismus konnten wir eine Methode zur Regulation der Aktivität des TLR4-Signalweges ableiten“, sagt Prof. Ostareck-Lederer. „Die dadurch mögliche Modulation der Zytokin-Synthese erfordert nicht die Beeinflussung der Genaktivität, sondern erfolgt direkt durch die Kontrolle der Synthese des Signalmoleküls“, macht die habilitierte Biochemikerin deutlich.
Von der Idee bis zum Produkt
„Der Weg bis zu einem Patent ist steinig, mit viel Aufwand und nicht zuletzt mit hohen Kosten verbunden. In der Regel sind es Pharmaunternehmen, die Patente für Medikamente oder Biomarker erwerben. Umso bemerkenswerter ist es, dass wir als Universitätsklinik die Methode entwickelt und diesen aufwendigen Weg erfolgreich bestritten haben“, zeigt sich Prof. Marx sichtlich erfreut. Während des gesamten Innovationsprozesses stand die Abteilung für Technologietransfer des Dezernats für Forschung und Karriere der Zentralen Hochschulverwaltung der RWTH Aachen mit tatkräftiger Unterstützung beratend zur Seite.
Das bereits in Europa und in den USA patentierte Verfahren zur spezifischen Kontrolle der Proteinsynthese eröffnet die Möglichkeit, die Zytokin-Produktion von Makrophagen als primär aktivierten Immunzellen zu modulieren. Die Anwendung dieses Mechanismus kann zur Entwicklung neuartiger therapeutisch wirksamer Verbindungen beitragen, die zukünftig die Überlebenschancen von Sepsis-Patienten deutlich verbessern.
„Das sind die Vorzüge der Universitätsmedizin: Dank klinischer Studien und experimenteller Grundlagenforschung werden ständig neue Fortschritte in der Medizin und damit bessere Behandlungsmöglichkeiten für viele Patienten erreicht. Besonders die Sepsis stellt eine große Herausforderung an die Intensivmedizin dar, der wir uns mit großem Willen und Motivation stellen, um neue Perspektiven zu eröffnen und Potenziale in der Krankenversorgung zu entwickeln“, sagt Klinikdirektor Prof. Marx.
Das Aachener Forscherteam
Prof. Antje Ostareck-Lederer und Prof. Dirk Ostareck sind sowohl privat als auch in der Wissenschaft ein Team. Seit 2009 sind sie gemeinsam für den Funktionsbereich Forschung der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum der RWTH Aachen zuständig. Unter Federführung von Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx und gemeinsam mit den Kolleginnen Dr. med. Jana C. Mossanen und Dr. rer. nat. Anke Liepelt, haben sie unter anderem der Forschung zur Regulation der Genexpression in Entzündungsprozessen neue Impulse verliehen, was nicht zuletzt das erteilte Patent belegt.