Die Darm-Hirn-Achse beschreibt die wechselseitige Kommunikation zwischen Darm und Gehirn. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Uniklinik RWTH Aachen erforschen, wie weitreichen diese Verbindung ist. Sie steht nicht nur im Zusammenhang mit Krankheiten, sondern könnte auch die Basis neuer Therapien sein. aachener FORSCHUNG hat mit Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Thomas Clavel, Leiter der Arbeitsgruppe „Funktionelle Mikrobiomforschung“ am Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Uniklinik RWTH Aachen gesprochen.
Herr Prof. Clavel, was meint man mit dem Begriff Darm-Mikrobiom?
Clavel: Das Darmmikrobiom ist die Gemeinschaft der Mikroben, die im menschlichen Darm leben. Diese Gemeinschaft ist sehr komplex, mit mehreren Arten von Mikroben (Viren, Pilze, Bakterien, Archaeen) und mehreren hundert Spezies pro Individuum. Der Begriff bezieht sich sowohl auf die Mikroben als auch auf ihr gesamtes genetisches Material, das so genannte Metagenom. Das Metagenom kodiert für Millionen von Proteinen und Stoffwechselprodukten, was die Kapazität unserer eigenen Körperfunktionen bei weitem übersteigt. Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese Gemeinschaft entlang des Darms – vom Magen bis zum Enddarm und schließlich zum Stuhl – verändert. Grundsätzlich gibt es also bei jedem Menschen sehr unterschiedliche mikrobielle Gemeinschaften im Darm. Der Einfachheit halber werden sie jedoch in ihrer Gesamtheit als Darmmikrobiom bezeichnet. Mikroben besiedeln auch andere Organe unseres Körpers, wie zum Beispiel die Haut. Das bedeutet, dass einem Mikrobiom immer ein Lebensraum (Habitat) zugeordnet ist (Darmmikrobiom, Hautmikrobiom etc.).
Was macht Mikroben für die Forschung so interessant?
Clavel: Das große Interesse an unseren Darmmikroben liegt darin, dass sie untrennbar mit uns verbunden sind und unser tägliches Leben in vielerlei Hinsicht beeinflussen: von der Verdauung über unser Verhalten bis hin zur Wirkung von Medikamenten. Sie schützen uns vor Infektionen, beeinflussen unser Immunsystem und unseren Stoffwechsel. Unter bestimmten Umständen und unter dem Einfluss anderer Faktoren wie zum Beispiel Genetik oder Lebensstil sind sie aber auch an der Entstehung oder dem Fortschreiten chronischer Krankheiten wie beispielsweise Darmkrebs, Diabetes oder neurodegenerativer Erkrankungen beteiligt. Wie dieses komplizierte Zusammenspiel funktioniert, ist jedoch noch weitgehend unbekannt. Erstaunlich ist vor allem, dass trotz des großen Interesses für das Mikrobiom und der intensiven Forschung der letzten 20 Jahre immer noch gut die Hälfte der Mikroben im Darm und noch mehr Gene im Metagenom unbekannt sind. Das heißt, wir wissen bestenfalls durch Sequenzierungstechniken, dass sie existieren, aber wir haben die Mikroben noch nie im Labor kultiviert und die Genprodukte sind nicht charakterisiert. Diese beiden Punkte (noch viele unbekannte Mikroben und Mechanismen der Interaktion) machen die Mikrobiomforschung extrem spannend.
Man hört immer wieder, dass der Darm und die Darmmikrobiota unsere Gesundheit beeinflussen. Was bedeutet das?
Clavel: In der Forschung sind keimfreie Modelle von großer Bedeutung. Keimfrei bedeutet, dass der Wirt unter sterilen Bedingungen lebt, also in völliger Abwesenheit von lebenden Mikroben, zum Beispiel in Isolatoren. Seit den 1960er Jahren ist bekannt, dass sich keimfreie Tiere in vielerlei Hinsicht von unter normalen Bedingungen gehaltenen kolonisierten Tieren unterscheiden: Ihr Immunsystem ist noch weitgehend naiv, ihr Stoffwechsel ist anders, sie leben durchaus länger, das heißt, die Besiedlung mit Mikroben kann für den Wirt sogar einen Preis haben. Keimfreie Tiere haben dagegen schlechtere Überlebenschancen nach Infektionen. Der Schutz vor Infektionen ist eine der Hauptaufgaben unseres körpereigenen Mikrobioms: Sind Mikroben bereits vorhanden, haben es Infektionserreger schwerer. All dies zeigt, dass ein Leben ohne Mikroben zwar möglich ist, aber nur unter geschützten Bedingungen, und dass die Besiedlung unseres Körpers mit Mikroben unsere gesamte Physiologie und damit unsere Gesundheit stark beeinflusst.
Es gibt auch Hinweise darauf, dass Darmbakterien das Gehirn beeinflussen. Wie kann man sich das biologisch vorstellen?
Clavel: Die Tatsache, dass Mikroben im Darm die Funktion mehrerer Organe im Körper beeinflussen, ist ein wichtiger Bestandteil des sogenannten „Organ Crosstalk“, übersetzt: Organe kommunizieren miteinander – man spricht zum Beispiel von der „Darm-Leber-Achse“ oder der „Darm-Hirn-Achse“. Die oben erwähnten keimfreien Tiere verhalten sich zum Beispiel ganz anders: Sie sind ruhiger, weniger ängstlich. Das untersuchen wir gerade selbst im Labor. Die Darmmikroben können über ihre Stoffwechselprodukte oder andere kleine Moleküle wie Zellbestandteile die Funktion entfernter Organe wie zum Beispiel das Gehirn direkt beeinflussen, sofern diese Produkte in die Blutbahn gelangen und die schützende Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Die Interaktion kann aber auch indirekt erfolgen, zum Beispiel über die Wirkung von Immunmechanismen, die bereits durch das Mikrobiom beeinflusst werden.
Wenn man Ihnen die Mikrobiomdaten eines beliebigen Menschen vorlegt – was können Sie daran erkennen?
Clavel: Erstaunlicherweise immer noch wenig, trotz intensiver Forschung in den letzten 20 Jahren. Das liegt daran, dass wir immer noch kein klares Bild davon haben, was genau ein Mikrobiom gesund macht. Mit anderen Worten: Uns fehlt eine gute Referenz. Es gibt bereits solide Daten darüber, dass das Vorhandensein bestimmter Bakterien eher mit günstigen oder ungünstigen Eigenschaften für den Wirt verbunden ist. Das Bakterium Akkermansia muciniphila wird beispielsweise mit positiven Auswirkungen auf den Stoffwechsel des Wirts in Verbindung gebracht. Aus diesem Bakterium wurde sogar ein erfolgreiches Probiotikum entwickelt. Auch Bakterien, die die kurzkettige Fettsäure Butyrat produzieren, werden eher mit gesundheitsfördernden Mikrobiota-Profilen in Verbindung gebracht. Im Gegensatz dazu sind Eigenschaften wie eine geringe Vielfalt der Mikrobiota oder das Wachstum von Enterobacteriaceae eher mit Krankheiten assoziiert. Darüber hinaus ist das Vorhandensein bestimmter Spezies der Gattungen Fusobacterium, Parvimonas, Peptostreptococcus und Porphyromonas mit der Entstehung von Darmkrebs assoziiert. Aber nicht nur Bakterien spielen eine Rolle, auch die Besiedlung mit bestimmten Pilzen wurde beispielsweise mit chronischer Darmentzündung in Verbindung gebracht. Es muss jedoch betont werden, dass das Vorhandensein solcher Mikroben allein nicht ausreicht, um einen Krankheitszustand auszulösen. Parameter wie geringe Vielfalt oder erhöhte Enterobacteriaceae sind nicht krankheitsspezifisch. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entwicklung chronischer Krankheiten immer von vielen Faktoren wie Genetik und Lebensstil abhängt und durchaus Jahrzehnte dauern kann.
Um bestimmte Veränderungen im Mikrobiom kausal mit der Entstehung von Krankheiten in Verbindung bringen zu können, fehlen uns bisher ausreichende Längsschnittdaten. Dies wird sich hoffentlich bald ändern. Forschungsprojekte zur Charakterisierung des Mikrobioms werden immer größer und umfassen Millionen von Proben aus Populationen auf der ganzen Welt, nicht nur aus Europa, Nordamerika oder China. Die Ansätze zur bioinformatischen Sequenzanalyse und Vorhersage werden immer besser. Die Arbeiten zur Charakterisierung bisher unbekannter Mikroorganismen laufen auf Hochtouren. All dies sind wichtige Bausteine, um weitere substanzielle Fortschritte zu erzielen. Eines ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt klar: Von kommerziell angebotenen Analysen des Darmmikrobioms sollte man die Finger lassen, denn die meisten dort getroffenen Aussagen sind irreführend.
Wie entsteht das Mikrobiom bei einem Baby beziehungsweise wann beginnt die Bildung der Darmmikrobiota?
Clavel: Vor etwa zehn Jahren wurde vorgeschlagen, dass die Plazenta, die für die Versorgung und den Schutz des Fötus verantwortlich ist, von einem Mikrobiom besiedelt sein könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Während der Schwangerschaft bleibt das Kind steril, was aber nicht bedeutet, dass Mikroben während der Schwangerschaft keine Rolle spielen. Das Darmmikrobiom der Mutter kann beispielsweise über Stoffwechselprodukte oder indirekt über das Immunsystem die Entwicklung des Kindes beeinflussen. Die Besiedlung aller Schleimhautoberflächen unseres Körpers beginnt jedoch mit der Geburt. Dabei spielen die verschiedenen Mikrobiota der Mutter (Vagina, Darmtrakt, Haut) eine entscheidende Rolle für die Übertragung. Viele Bakterien sind in der Lage, Sporen zu bilden, die ihre Widerstandsfähigkeit erhöhen und die Übertragung erleichtern. Bakterien, die keine Sporen bilden können, sind häufig aerotolerant, das bedeutet, sie können die Anwesenheit von Sauerstoff für eine gewisse Zeit tolerieren, zum Beispiel während der Übertragung, vermehren sich aber nur unter streng anaeroben Bedingungen im Darm. Anschließend spielen Umweltmikroben auch eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung unserer Mikrobiome. Das bedeutet, dass mikrobielle Exposition im jungen Alter sehr wichtig ist und unter anderem die Reifung des Immunsystems beeinflusst. Der intensive Einsatz von Desinfektionsmitteln und zu strenge Hygienebedingungen können kontraproduktiv für die Entwicklung des Mikrobioms sein. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, weniger Allergien entwickeln als Stadtkinder, und dass dies mit der Exposition gegenüber Mikroben zusammenhängt. Unmittelbar nach der Geburt spielen auch Stämme aus der Umgebung eine Rolle bei der Kolonisierung, insbesondere bei Neugeborenen nach Kaiserschnitt (zum Beispiel Krankenhauspersonal). Die Ökosysteme befinden sich noch in einem rudimentären Zustand, in dem alle Nischen noch frei sind, was die Wahrscheinlichkeit einer Kolonisierung erhöht, im Gegensatz zu einem komplexen Ökosystem bei Erwachsenen. Stillen ist ein entscheidender Faktor für die Darmmikrobiota von Neugeborenen und Kleinkindern. Die komplexen Zucker in der Muttermilch sind sehr vielfältig und spezifisch für die Mutter und fördern das Wachstum von Bifidobakterien erheblich. Im Gegensatz zur Situation bei Erwachsenen, wo ein vielfältiges Ökosystem optimal ist, ist ein von Bifidobakterien dominiertes Ökosystem im ersten Lebensjahr eine wichtige Grundlage für ein gesundes Mikrobiom bei Kleinkindern. Aber auch bei Neugeborenen und Kleinkindern ist das sich noch etablierende Mikrobiom von entscheidender Bedeutung für die Kolonisierungsresistenz gegenüber Pathogenen. Dieses Thema wird besonders intensiv von Prof. Mathias Hornef, dem Direktor unseres Instituts für Medizinische Mikrobiologie, erforscht. In Deutschland gibt es zudem den von der DFG geförderten Forschungsverbund TRR359 PILOT, der sich der Erforschung der perinatalen Entwicklung des Immunsystems im Zusammenhang mit dem Mikrobiom widmet.
Die Zusammensetzung und das Gleichgewicht von Darmbakterien haben also einen starken Einfluss auf die Gesundheit. Kann man sein Mikrobiom frühzeitig beeinflussen, beispielsweise durch eine Umstellung der Ernährung, um bestimmten Erkrankungen vorzubeugen?
Clavel: Zuerst ist es wichtig zu betonen, dass das Darmmikrobiom und andere Mikrobiome auf beziehungsweise in unserem Körper nicht die Ursache für alle gesundheitlichen Probleme und Erkrankungen sind. Chronische Erkrankungen nehmen weltweit zu. Für die Entstehung dieser Krankheiten sind jedoch viele verschiedene Faktoren verantwortlich: genetische Veranlagung, Umweltfaktoren, suboptimaler Lebensstil (Alkoholkonsum, unausgewogene Ernährung, wenig Bewegung, Übergewicht). Therapeutisch wirkt bei chronischen Infektionen mit dem Erreger Clostridioides difficile die Fäkaltransplantation, kurz FMT, das meint die Übertragung einer Stuhlsuspension von einem gesunden Spender auf einen Erkrankten, wie ein Wunder. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und immunbasierten Krebstherapien ist die Wirkung durchaus vielversprechend. Die FMT ist jedoch ein professionelles klinisches Verfahren und sollte keinesfalls bei allgemein gesunden Personen oder in anderen Krankheitsfällen eingesetzt werden. So bleiben uns leider immer noch die klassischen Empfehlungen: ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung. Die Darmmikroben mögen vor allem Ballaststoffe, die eine gute Grundlage für die Produktion kurzkettiger Fettsäuren sind. Ein hoher Verzehr von Fett und rotem Fleisch, aus denen die Darmbakterien gesundheitsschädliche Stoffwechselprodukte bilden können, sollte dagegen vermieden werden. Möglichst keine wiederholte Gabe von Antibiotika, es sei denn, es gibt einen guten medizinischen Grund dafür. Hier sollte keine Antibiotikaphobie entstehen, denn Antibiotika retten immer noch Leben. Bei Kleinkindern sind sowohl eine vaginale Geburt und das Stillen, sofern möglich, zu empfehlen. Auch eine natürliche mikrobielle Exposition ist gut, das heißt, kein ständiger Gebrauch von Desinfektionsmitteln.
Was sind die aktuellen Herausforderungen in der Mikrobiomforschung?
Clavel: In der Grundlagenforschung ist es von größter Bedeutung, möglichst viele der noch unbekannten Darmmikroben zu kultivieren und zu beschreiben. Es ist auch dringend notwendig, die aktiven Moleküle dieser Mikroben und auch die Mechanismen der Wechselwirkung zwischen Mikroben und Wirt zu identifizieren und zu verstehen. Dies wird automatisch zu mehr Translation und klinischen Anwendungen führen. Diese Aufgaben bringen eine weitere große Herausforderung mit sich: Es werden ständig riesige Datenmengen produziert. Die Infrastruktur und die Ansätze zur Verwaltung und Verarbeitung dieser Daten sind derzeit noch unbefriedigend. Dedizierte Programme wie NFDI4Mikrobiota (https://nfdi4microbiota.de), die eine Nutzung von Daten nach den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) fördern wollen, sind daher sehr wichtig. Die größte Herausforderung für die gesamte Forschung, nicht nur für die Mikrobiomforschung, besteht in diesem Zusammenhang darin, dass die zunehmende Belastung durch solche Themen (FAIR, Datenschutz, Tierversuche) immer zuerst auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fällt, die immer mehr administrative Aufgaben übernehmen müssen und immer weniger Zeit für die eigentliche Forschung, Entdeckungen und Fortschritt haben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, um Forschung und Innovation in Deutschland auf höchstem Niveau zu halten.
Was steht im Mittelpunkt Ihrer aktuellen Forschung?
Clavel: Das Team und ich arbeiten intensiv an der Entwicklung von Verfahren zur anaeroben Kultivierung von Darmmikroben mit hohem Durchsatz. Das ist nicht einfach, denn alle Prozesse müssen in geschlossenen Arbeitsstationen unter sauerstofffreier Atmosphäre durchgeführt werden. Unsere Kultivierungsarbeiten tragen zur Bewältigung der oben genannten Herkulesaufgabe bei, die Darmbakterien und ihre Funktionen zu beschreiben. So sind wir unter anderem in der Lage, personalisierte Sammlungen von Darmbakterien anzulegen. Wir arbeiten auch an der Entwicklung sogenannter synthetischer Gemeinschaften dieser kultivierten Bakterien, die perspektivisch als Ersatz für FMT eingesetzt werden könnten. Diese Art von Arbeit ist untrennbar mit der Bioinformatik verbunden: die Tausenden von Genomen und Metagenomen, die wir generieren, müssen analysiert und gut verwaltet werden. Diese Hauptaufgaben (Kultivierungsarbeit und Datenanalyse) können am besten an der Uniklinik RWTH Aachen und an der RWTH University durch die Nähe zu Themen wie „Medizin und Technik“ und „Datenwissenschaft“ durchgeführt werden. Im Hinblick auf die Interaktion mit dem Wirt, sind wir besonders an der Wirkung von Bakterien auf Dickdarmkrebsentstehung und an der Interaktion mit anderen Organen wie Gehirn und Leber interessiert. Letzteres wird im Rahmen des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichs 1382 „Darm-Leber-Achse“ unter der Leitung von Prof. Oliver Pabst untersucht.
Was war der Auslöser für Sie, sich mit diesem Thema so ausführlich zu beschäftigen?
Clavel: Neugier, Entdeckerdrang und der Wille, etwas Nützliches zu schaffen, waren für mich wichtige Antriebsfaktoren. Die Mikrobiomforschung hat diese Wünsche in jeder Hinsicht erfüllt. Heute macht es mir sehr viel Spaß zu sehen, wie das Team gut funktioniert und sich weiterentwickelt. Diesen Weg habe ich vor allem meinen Mentoren zu verdanken, die mich immer unterstützt haben: Dr. Joël Doré (INRAE, Frankreich), Prof. Michael Blaut (DIfE, Deutschland), Prof. Dirk Haller (TUM, Deutschland).
Was können wir von der Mikrobiomforschung in den nächsten zehn Jahren erwarten?
Clavel: In zehn Jahren müssen wir alle Mikroorganismen im Darm kennen; daran arbeiten wir und andere mit Hochdruck. Ziel ist es auch, ihre Funktionen besser zu charakterisieren und zu verstehen. Zu diesem Thema wurde kürzlich ein neues Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, SPP2474 „Illuminating gene functions in the human gut microbiome“, unter der Leitung von Professorin Lisa Maier an der Universität Tübingen, bewilligt. Weltweite Humanstudien mit großen Probenzahlen, unterstützt durch neue bioinformatische beziehungsweise KI-basierte Ansätze, werden sowohl genauere Vorhersagen über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Mikrobiom als auch personalisierte Ansätze zur Modifikation des Mikrobioms ermöglichen. Neben ernährungsbasierten Interventionsmöglichkeiten wird auch der gezielten genetischen Veränderung von Darmmikroben, beispielsweise durch den Einsatz von Phagen und CRISPR-basierten Strategien zur Überwindung von Antibiotikaresistenzen, große Bedeutung beigemessen. Es muss jedoch betont werden, dass solche bahnbrechenden Fortschritte in der Mikrobiomforschung und die Entwicklung neuer, klinisch relevanter mikrobiombasierter Anwendungen nur mit der Unterstützung von Tierversuchen möglich sein werden. Solche oben erwähnten Ansätze zur Bekämpfung multiresistenter Bakterien, eine der größten Bedrohungen für die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten, müssen zunächst in Tiermodellen getestet werden.
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