Angesichts der COVID-19 Pandemie hat das Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen im April mit Unterstützung des Bundesverbandes Deutscher Pathologen e. V. (BDP) und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) ein zentrales Register für klinische Obduktionen von COVID-19-Erkrankten im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Das Ziel dieses Registers ist es, möglichst alle Obduktionsfälle von COVID-19-Erkrankten deutschlandweit und – falls möglich – im deutschsprachigen Raum anonymisiert zentral elektronisch zu erfassen und anschließend als zentrale Vermittlungsstelle für Datenanalysen und Anfragen zu dienen.
Trotz großer Bemühungen, die Erkrankung COVID-19 besser zu verstehen, ist über die Entstehung und Entwicklung (Pathogenese) der Erkrankung, deren Ausbreitung innerhalb des menschlichen Körpers und über die Auswirkungen auf die jeweiligen Organe und Zellen nur wenig bekannt. Im Interview mit aachener FORSCHUNG erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Peter Boor, Oberarzt am Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen, die Aufgaben und Ziele des neuartigen Obduktions-Register von COVID-19-Patienten.
Herr Prof. Boor, was hat es mit dem neu etablierten Obduktions-Register auf sich?
Prof. Boor: Angesichts der COVID-19-Pandemie haben wir am Institut für Pathologie ein zentrales Register für klinische Obduktionen von COVID-19-Erkrankten aufgebaut – DeRegCOVID genannt. Dies war nur möglich durch eine enge Kooperation mit dem Institut für Medizinische Informatik und dem Center for Translational & Clinical Research an der Uniklinik RWTH Aachen, sowie mit Unterstützung des Bundesverbands Deutscher Pathologen e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Das Ziel dieses Registers ist es, möglichst alle Obduktionsfälle von COVID-19-Erkrankten deutschlandweit faktisch anonymisiert, zentral und elektronisch zu erfassen und anschließend als zentrale Vermittlungsstelle für Datenanalysen und Anfragen zu dienen. Das Bundesministerium für Gesundheit sowie das Robert Koch-Institut begrüßen und unterstützen diese Initiative.
Bisher ist über die Pathogenese der Erkrankung, ihre Ausbreitung innerhalb des menschlichen Körpers oder über die Auswirkungen auf die jeweiligen Organe und Zellen wenig bekannt. Durch Obduktionen von COVID-19 infizierten Verstorbenen ist es möglich, zu einem verbesserten Verständnis dieser Infektionskrankheit beizutragen, wodurch sich am Ende möglicherweise auch neue, verbesserte Therapieoptionen ableiten lassen. Somit stellen die Obduktionen bei COVID-19-Infizierten einen potentiell großen medizinisch-wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Wert dar.
Was wird konkret untersucht?
Prof. Boor: Im Rahmen von Obduktionen kann unter anderem mittels Gewebe- und Organanalysen untersucht werden, ob bei den Verstorbenen nicht sichtbare Vorerkrankungen vorgelegen haben, welche Vorerkrankungen besonders riskant sind, vor allem aber, wie das SARS-CoV-2 zum Tod geführt hat. Zudem haben wir auch molekularpathologische und ultrastrukturelle Methoden für den Nachweis des SARS-CoV-2-Virus im Gewebe bis auf die zelluläre und subzelluläre Ebene etabliert und validiert. Dies ermöglicht uns, neue Erkenntnisse über die Ausbreitung des Virus zu erlangen.
Könnten durch die Untersuchungen auch neue Therapieoptionen abgeleitet werden?
Prof. Boor: Obduktionen hatten und haben auch heute unverändert eine besondere Bedeutung für das Verständnis der Pathogenese von Krankheiten, inklusive den Infektionskrankheiten. Beispiele sind nicht nur der Ausbruch des Marburgvirusfiebers und in neuer Zeit HIV, sondern auch SARS und MERS, bei denen Autopsie-Befunde geholfen haben, klinische Krankheitsbilder zu verstehen und damit auch therapeutische Konzepte zu beeinflussen. Die ersten Ergebnisse aus den COVID-19-Obduktionen deuten bereits auf wichtige Pathomechanismen hin, wie zum Beispiel eine Beteiligung der Gefäße mit einer Häufung von thrombembolischen Komplikationen oder Entzündung der kleinsten Gefäße, die sogenannte Endotheliitis. Größere Studien sind jedoch notwendig, um solche Befunde zu bestätigen – eine der Aufgaben des Registers.
Gibt es bereits erste Erkenntnisse?
Prof. Boor: Eine internationale Forschergruppe hat im Rahmen einer Studie, mit Unterstützung des Registers, untersucht, inwiefern das neue Coronavirus SARS-CoV-2 die Lunge schädigt, und verglich dazu Gewebeproben von jeweils sieben Patienten, die aktuell an COVID-19 oder vor Jahren an einer Influenza A/2009 H1N1 gestorben waren, die damals auch als „Schweinegrippe“ bekannt wurde. Zum Vergleich wurden zudem zehn gesunde Lungen von Spendern untersucht. Die Proben wurden mit einem breiten Methodenspektrum untersucht, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Eine Gemeinsamkeit ist, dass bei beiden Erkrankungen, sowohl bei COVID-19 als auch bei der H1N1-Influenza, diffuse Alveolarschäden vorliegen. Alveolen sind die funktionellen Elemente der Lunge, in denen bei der Atmung der Gasaustausch zwischen Blut und Luft erfolgt. Diese Schädigungen sind mit einem Ödem, Blutungen und Fibrin-ablagerungen in den Alveolen verbunden, die die Sauerstoffzufuhr in das Blut erschweren, weswegen die Patienten beatmet sein müssen, um ausreichend Sauerstoff für den gesamten Körper zu bekommen. Zudem kommt es bei beiden Erkrankungen zur Bildung von kleinen Blutgerinnseln, sogenannten Mikrothromben, in den kleinsten Gefäßen, den Kapillaren, in der Umgebung der Alveolen. Diese sogenannte Mikroangiopathie scheint bei COVID-19 deutlich ausgeprägter zu sein. Die Forscher beobachteten neunmal so viele Mikrothromben wie bei den Patienten mit Influenza H1N1. Dies könnte den Schweregrad der Erkrankung erklären, da die Mikrothromben den Abtransport des über die Lungen aufgenommenen Sauerstoffs behindern. Eine mögliche Ursache der Thrombosierung ist die Infektion der Endothelzellen mit SARS-CoV-2, wodurch eine Blutgerinnung in den kleinen Blutgefäßen ausgelöst werden kann. Im Rahmen der Studie konnte zusätzlich aufgezeigt werden, dass durch die hervorgerufene Störung des Blutflusses eine spezielle Form der Blutgefäßneubildung, eine sogenannte intussuszeptive Angiogenese, angeregt wird. Dabei kommt es zu Einstülpungen in das Gefäßlumen. Diese intussuszeptive Angiogenese ist der Versuch des Körpers, ein bereits bestehendes Blutgefäß in zwei Teile zu teilen. Diese spezielle Gefäßneubildung wurde in der COVID-Gruppe unter dem Mikroskop fast dreimal so häufig gesehen wie in der Influenza-Gruppe. Diese Erkenntnisse könnten zu einer besseren Therapie beziehungsweise Management solcher Patienten führen. Es sind jedoch dringend weitere Studien erforderlich, um den molekularen Mechanismus von COVID-19-bedingten Todesfällen sowie mögliche therapeutische Interventionen näher zu untersuchen.