Myeloische Neoplasien wie die akute myeloische Leukämie (AML), Myeloproliferative Neoplasien (MPN), die chronische myeloische Leukämie (CML) und Myelodysplastische Syndrome (MDS) stellen maligne Erkrankun-gen blutbildender Knochenmarkstammzel-len dar. Diese Knochenmarkstammzellen werden durch eine genetische Veränderung so modifiziert, dass sich ihr Wachstums- und Differenzierungsverhalten im Knochenmark verändert. Hierbei steigt die Anzahl unreifer Zellformen, und diese verdrängen die normale Blutbildung im Knochenmark. Solche genetischen Veränderungen können zum Beispiel Punktmutationen in wichtigen Genen oder Gen-Umlagerungen – Chromosomen-Translokationen – sein, die dann als sogenannte Onkogene die Stammzellen zur unkontrollierten Vermehrung antreiben. Während der chronischen Phase dieser Erkrankungen kommt es typischerweise auch zu einer Entzündungsreaktion und einer Verfaserung – eine Art Vernarbung – des Knochenmarks, der Myelofibrose. Sowohl die Entzündung als auch die Myelofibrose hemmen die normale Blutbildung im Knochenmark und begünstigen die Ausbreitung des malignen Klons. Das führt – über weitere erworbene genetische Veränderungen in den malignen Blutstammzellen – zu einer klonalen Evolution, die wir im Sinne von Phasenübergängen bereits modellieren konnten. Dabei zeigte es sich, dass die beobachtete Entwicklung der Zellpopulation beim Übergang zur malignen Phase sehr ähnlich zu Phasenübergängen komplexer nicht biologischer Systeme verläuft und damit neue Möglichkeiten zur Vorhersage der Krankheitsentwicklung mit Methoden der Thermodynamik komplexer Systeme bietet. Je nach Art der Genveränderung kommt es dann rasch oder erst nach langer Zeit zu einem „Ausreifungsblock“ der Stammzellen, sodass in der Folge keine reifen Blutzellen mehr gebildet werden. Die Reduktion dieser Zellen in Zahl und Qualität führt schließlich zu Einschränkungen beispielsweise in der Immunabwehr oder in der Blutstillung und damit zu einer steigenden Gefahr durch Infektionen und Blutungen für die Betroffenen.
Knochenmarkfibrose und Primäre Myelofibrose
Bei der Knochenmarkfibrose handelt es sich um eine Erkrankung, bei der es zum bindegewebigen Umbau (Fibrose) des blutbildenden Knochenmarks kommt. Die Knochenmark-fibrose ist assoziiert mit einer Vielzahl von bösartigen Erkrankungen der Hämatopoese, insbesondere mit den oben erwähnten Myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Eine Subform ist die Primäre Myelofibrose (PMF). Sie stellt das prototypische Beispiel dar für die verhängnisvollen Phasenübergänge von der gesunden Blutbildung (Hämatopoese) über ein aktiviertes, entzündlich verändertes Stammzellmilieu, welches dann unter dem Einfluss der Fibrose-Reaktion des Knochenmark-Stützgerüstes (Stroma) in ein Knochenmarkversagen oder eine akute Leukämie übergeht.
Das mediane Überleben der Patientinnen und Patienten mit PMF nach Diagnosestellung liegt bei etwa vier Jahren. Bei dieser Erkrankung erwerben hämatopoetische Stamm-zellen eine Mutation, in der Vielzahl der Fälle eine JAK2V617F-Mutation, die zur klonalen Expansion der malignen hämatopoetischen Zellen führt und zum Ersatz der normalen Hämatopoese. Im Verlauf transformieren nicht hämatopoetische Stromazellen in die Fibroseinduzierenden Zellen. Obwohl die Erkrankung schon vor über 60 Jahren von William Dameshek beschrieben wurde und das Mutationsspektrum der PMF weitgehend aufgeklärt ist, blieb die Biologie der fibrotischen Transformation des Stromas nahezu unbekannt, insbesondere da der zelluläre Ursprung der Fibrose unverstanden war.
Neues Verständnis der Pathogenese und innovative Therapieansätze
Wir konnten jetzt erstmals zeigen, dass Gli1+- Zellen des Knochenmarks die Fibrosebildenden Zellen in PMF sind. Gli1 ist ein Transkriptionsfaktor des Hedgehog (Hh)-Signalweges. Mittels genetischer Verfolgungsexperimente (genetic fate tracing) ließ sich nachweisen, dass Gli1+-Zellen in der Anwesenheit von malignen hämatopoetischen Zellen aus ihrer endostealen und perivaskulären Nische rekrutiert werden und in das Knochenmark migrieren, wo sie in alpha-Smooth Muscle Antigen positive (SMA+) Myofibroblasten differenzieren und extrazelluläre Matrixproteine sezernieren. Das zentrale Experiment war dann die spezifische genetische Ablation von Gli1+-Zellen aus dem Knochenmark und der Nachweis, dass selbst bei Anwesenheit von malignen hämatopoetischen Zellen die Knochenmarkfibrose komplett aufgehalten werden kann, wenn Gli1+-Zellen abwesend sind. Zusätzlich konnte über die Ablation der Fibrosebildenden Zellen die Hämatopoese (Blutbildung) im Knochenmark wiederhergestellt werden. Diese Ergebnisse beweisen, dass Gli1+-Zellen die Fibrose-induzierenden Zellen im Knochenmark sind und ein attrak-tives therapeutisches Target für die Therapie der PMF darstellen. Neue Therapien für die PMF sind dringend erforderlich, da sie als unheilbar gilt. Die einzige potenzielle kurative Behandlungsform ist gegenwärtig die allogene Blutstammzell- oder Knochenmarktransplantation. Allerdings kann diese nur bei einem Teil der Patientinnen und Patienten durchgeführt werden und nur rund 50 Prozent der allogen Transplantierten bleiben endgültig krankheitsfrei. Es gelang der Nachweis, dass Gli1+Zellen auch ein neues pharmakologisches therapeutisches Target der PMF darstellen. In Mäusen mit JAK2V617F induzierter Knochenmarkfibrose konnten wir mittels pharmakologischer Intervention mit einem kleinmolekularen Gli-Protein-Inhibitor names GANT61 die Entstehung und Progression der Knochenmarkfibrose vollständig hemmen. Unsere Daten bieten eine Rationale für die direkte Inhibition des Transkriptionsfaktors Gli und zeigen, dass Gli in PMF auch unabhängig von der Hh-Signalkaskade aktiviert werden kann.
Präventionsstrategien durch verbesserte Frühdiagnostik
Eine Herausforderung ist es, präfibrotische Stadien (sprich: frühe Phasen) der PMF zu erkennen. Hier kann sich die Diagnostik bislang nur auf Surrogatparameter berufen, insbesondere der Lokalisation und Morphologie von Megakaryozyten, ohne dass spezifischere Biomarker zur Verfügung standen. Jetzt konnte nachgewiesen werden, dass die Frequenz von Gli1+-Zellen bei Menschen mit MPN signifikant erhöht ist und mit dem Fibrosegrad korreliert. Von Bedeutung ist hier, dass auch Betroffene, die in der Retikulin-Standardfärbung noch keine erkennbare Fibrose aufweisen, schon eine signifikant erhöhte Frequenz von Gli1+-Zellen haben. In aktuellen Studien wird die Bedeutung von Gli1 als Marker der präfibrotischen Phase (prä-PMF) untersucht.
Weiterhin konnte mittels RNA-Sequenzierung von Gli1+-Zellen in Mäusen mit Knochenmark- fibrose gezeigt werden, dass die Gli1+-Zellen auch in den präfibrotischen Stadien schon reprogrammiert sind. Dies belegt, dass eine alleinige Therapie des malignen hämatopoetischen Klons nicht ausreichend ist, um das Fortschreiten der Fibrose aufzuhalten, son-dern dass auch das Stroma in die Therapie mit einbezogen werden sollte. Dies könnte eine wichtige Erkenntnis auch für die Therapie von bösartigen lymphatischen Erkrankungen und soliden Tumoren sein, die mit einer ausgiebigen Stromareaktion einhergehen. Aktuelle Arbeiten werden Aufschluss über die Interaktion von malignen Zellen mit dem Stroma geben und wie diese das Fortschreiten der Erkrankung aber auch die Therapie beeinflusst.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen können nun klinische Studien konzipiert werden, die zum Ziel haben, die Phasenübergänge von der gesunden zur malignen Blutstammzelle zu verhindern (primäre Prävention) oder zumindest die Progression der Erkrankung zu hemmen (sekundäre Prävention), um das Überleben der Patientinnen und Patienten und deren Lebensqualität zu verbessern. Eine Möglichkeit neben der oben genannten Gli1-Hemmung ist die Stärkung des körpereigenen Immunsystems, zum Beispiel durch verabreichtes Interferon-alpha. Das wurde bereits zur Therapie eingesetzt und zeigte, dass die Art der Genmutation (JAK2V617F- oder CALR-Mutation) das Therapieansprechen beeinflusst. Ob diese Medikamente auch in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt werden können, ob sie die Entzündungs- und Fibrosevorgänge verhindern und sogar zu einer Ausheilung der Erkrankung führen, ist derzeit noch unklar. Die Möglichkeit besteht jedoch, anhand von präklinischen und klinischen Studien kann dies nun geklärt werden.
Quellennachweise und Autorenlisten finden Sie im Forschungsmagazin RWTH THEMEN.