AC forscht
  • Über uns
  • Kontakt
AC forscht
  • Über uns
  • Kontakt
AC forscht

Von der Fibrose zum Krebs – Hämatologische Neoplasien

von Uniklinik RWTH Aachen9. April 2020 in Onkologie,
Fibrose-816_zugeschnitten
Diskussion neuartiger Wege der Erforschung, Diagnostik und Therapie der Myelofibrose und der Myeloproliferativen Neoplasien. (Foto: Peter Winandy)

Myeloische Neoplasien wie die akute myeloische Leukämie (AML), Myeloproliferative Neoplasien (MPN), die chronische myeloische Leukämie (CML) und Myelodysplastische Syndrome (MDS) stellen maligne Erkrankun-gen blutbildender Knochenmarkstammzel-len dar. Diese Knochenmarkstammzellen werden durch eine genetische Veränderung so modifiziert, dass sich ihr Wachstums- und Differenzierungsverhalten im Knochenmark verändert. Hierbei steigt die Anzahl unreifer Zellformen, und diese verdrängen die normale Blutbildung im Knochenmark. Solche genetischen Veränderungen können zum Beispiel Punktmutationen in wichtigen Genen oder Gen-Umlagerungen – Chromosomen-Translokationen – sein, die dann als sogenannte Onkogene die Stammzellen zur unkontrollierten Vermehrung antreiben. Während der chronischen Phase dieser Erkrankungen kommt es typischerweise auch zu einer Entzündungsreaktion und einer Verfaserung – eine Art Vernarbung – des Knochenmarks, der Myelofibrose. Sowohl die Entzündung als auch die Myelofibrose hemmen die normale Blutbildung im Knochenmark und begünstigen die Ausbreitung des malignen Klons. Das führt – über weitere erworbene genetische Veränderungen in den malignen Blutstammzellen – zu einer klonalen Evolution, die wir im Sinne von Phasenübergängen bereits modellieren konnten. Dabei zeigte es sich, dass die beobachtete Entwicklung der Zellpopulation beim Übergang zur malignen Phase sehr ähnlich zu Phasenübergängen komplexer nicht biologischer Systeme verläuft und damit neue Möglichkeiten zur Vorhersage der Krankheitsentwicklung mit Methoden der Thermodynamik komplexer Systeme bietet. Je nach Art der Genveränderung kommt es dann rasch oder erst nach langer Zeit zu einem „Ausreifungsblock“ der Stammzellen, sodass in der Folge keine reifen Blutzellen mehr gebildet werden. Die Reduktion dieser Zellen in Zahl und Qualität führt schließlich zu Einschränkungen beispielsweise in der Immunabwehr oder in der Blutstillung und damit zu einer steigenden Gefahr durch Infektionen und Blutungen für die Betroffenen.

Knochenmarkfibrose und Primäre Myelofibrose

Bei der Knochenmarkfibrose handelt es sich um eine Erkrankung, bei der es zum bindegewebigen Umbau (Fibrose) des blutbildenden Knochenmarks kommt. Die Knochenmark-fibrose ist assoziiert mit einer Vielzahl von bösartigen Erkrankungen der Hämatopoese, insbesondere mit den oben erwähnten Myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Eine Subform ist die Primäre Myelofibrose (PMF). Sie stellt das prototypische Beispiel dar für die verhängnisvollen Phasenübergänge von der gesunden Blutbildung (Hämatopoese) über ein aktiviertes, entzündlich verändertes Stammzellmilieu, welches dann unter dem Einfluss der Fibrose-Reaktion des Knochenmark-Stützgerüstes (Stroma) in ein Knochenmarkversagen oder eine akute Leukämie übergeht.

Das mediane Überleben der Patientinnen und Patienten mit PMF nach Diagnosestellung liegt bei etwa vier Jahren. Bei dieser Erkrankung erwerben hämatopoetische Stamm-zellen eine Mutation, in der Vielzahl der Fälle eine JAK2V617F-Mutation, die zur klonalen Expansion der malignen hämatopoetischen Zellen führt und zum Ersatz der normalen Hämatopoese. Im Verlauf transformieren nicht hämatopoetische Stromazellen in die Fibroseinduzierenden Zellen. Obwohl die Erkrankung schon vor über 60 Jahren von William Dameshek beschrieben wurde und das Mutationsspektrum der PMF weitgehend aufgeklärt ist, blieb die Biologie der fibrotischen Transformation des Stromas nahezu unbekannt, insbesondere da der zelluläre Ursprung der Fibrose unverstanden war.

Neues Verständnis der Pathogenese und innovative Therapieansätze

Wir konnten jetzt erstmals zeigen, dass Gli1+- Zellen des Knochenmarks die Fibrosebildenden Zellen in PMF sind. Gli1 ist ein Transkriptionsfaktor des Hedgehog (Hh)-Signalweges. Mittels genetischer Verfolgungsexperimente (genetic fate tracing) ließ sich nachweisen, dass Gli1+-Zellen in der Anwesenheit von malignen hämatopoetischen Zellen aus ihrer endostealen und perivaskulären Nische rekrutiert werden und in das Knochenmark migrieren, wo sie in alpha-Smooth Muscle Antigen positive (SMA+) Myofibroblasten differenzieren und extrazelluläre Matrixproteine sezernieren. Das zentrale Experiment war dann die spezifische genetische Ablation von Gli1+-Zellen aus dem Knochenmark und der Nachweis, dass selbst bei Anwesenheit von malignen hämatopoetischen Zellen die Knochenmarkfibrose komplett aufgehalten werden kann, wenn Gli1+-Zellen abwesend sind. Zusätzlich konnte über die Ablation der Fibrosebildenden Zellen die Hämatopoese (Blutbildung) im Knochenmark wiederhergestellt werden. Diese Ergebnisse beweisen, dass Gli1+-Zellen die Fibrose-induzierenden Zellen im Knochenmark sind und ein attrak-tives therapeutisches Target für die Therapie der PMF darstellen. Neue Therapien für die PMF sind dringend erforderlich, da sie als unheilbar gilt. Die einzige potenzielle kurative Behandlungsform ist gegenwärtig die allogene Blutstammzell- oder Knochenmarktransplantation. Allerdings kann diese nur bei einem Teil der Patientinnen und Patienten durchgeführt werden und nur rund 50 Prozent der allogen Transplantierten bleiben endgültig krankheitsfrei. Es gelang der Nachweis, dass  Gli1+Zellen auch ein neues pharmakologisches therapeutisches Target der PMF darstellen. In Mäusen mit JAK2V617F induzierter Knochenmarkfibrose konnten wir mittels pharmakologischer Intervention mit einem kleinmolekularen Gli-Protein-Inhibitor names GANT61 die Entstehung und Progression der Knochenmarkfibrose vollständig hemmen. Unsere Daten bieten eine Rationale für die direkte Inhibition des Transkriptionsfaktors Gli und zeigen, dass Gli in PMF auch unabhängig von der Hh-Signalkaskade aktiviert werden kann.

Präventionsstrategien durch verbesserte Frühdiagnostik

Eine Herausforderung ist es, präfibrotische Stadien (sprich: frühe Phasen) der PMF zu erkennen. Hier kann sich die Diagnostik bislang nur auf Surrogatparameter berufen, insbesondere der Lokalisation und Morphologie von Megakaryozyten, ohne dass spezifischere Biomarker zur Verfügung standen. Jetzt konnte nachgewiesen werden, dass die Frequenz von Gli1+-Zellen bei Menschen mit MPN signifikant erhöht ist und mit dem Fibrosegrad korreliert. Von Bedeutung ist hier, dass auch Betroffene, die in der Retikulin-Standardfärbung noch keine erkennbare Fibrose aufweisen, schon eine signifikant erhöhte Frequenz von Gli1+-Zellen haben. In aktuellen Studien wird die Bedeutung von Gli1 als Marker der präfibrotischen Phase (prä-PMF) untersucht.

Weiterhin konnte mittels RNA-Sequenzierung von Gli1+-Zellen in Mäusen mit Knochenmark- fibrose gezeigt werden, dass die Gli1+-Zellen auch in den präfibrotischen Stadien schon reprogrammiert sind. Dies belegt, dass eine alleinige Therapie des malignen hämatopoetischen Klons nicht ausreichend ist, um das Fortschreiten der Fibrose aufzuhalten, son-dern dass auch das Stroma in die Therapie mit einbezogen werden sollte. Dies könnte eine wichtige Erkenntnis auch für die Therapie von bösartigen lymphatischen Erkrankungen und soliden Tumoren sein, die mit einer ausgiebigen Stromareaktion einhergehen. Aktuelle Arbeiten werden Aufschluss über die Interaktion von malignen Zellen mit dem Stroma geben und wie diese das Fortschreiten der Erkrankung aber auch die Therapie beeinflusst.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen können nun klinische Studien konzipiert werden, die zum Ziel haben, die Phasenübergänge von der gesunden zur malignen Blutstammzelle zu verhindern (primäre Prävention) oder zumindest die Progression der Erkrankung zu hemmen (sekundäre Prävention), um das Überleben der Patientinnen und Patienten und deren Lebensqualität zu verbessern. Eine Möglichkeit neben der oben genannten Gli1-Hemmung ist die Stärkung des körpereigenen Immunsystems, zum Beispiel durch verabreichtes Interferon-alpha. Das wurde bereits zur Therapie eingesetzt und zeigte, dass die Art der Genmutation (JAK2V617F- oder CALR-Mutation) das Therapieansprechen beeinflusst. Ob diese Medikamente auch in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt werden können, ob sie die Entzündungs- und Fibrosevorgänge verhindern und sogar zu einer Ausheilung der Erkrankung führen, ist derzeit noch unklar. Die Möglichkeit besteht jedoch, anhand von präklinischen und klinischen Studien kann dies nun geklärt werden. Quadrate_Satzende


Quellennachweise und Autorenlisten finden Sie im Forschungsmagazin RWTH THEMEN.


 

Teile auf FacebookTeile auf Twitter

Verwandte Artikel

Künstliche Intelligenz_Adobe_© kras99_web

Einsatz von Schwarmlernen für dezentrale Künstliche Intelligenz in der Onkologie

von Uniklinik RWTH Aachen25. April 2022
ai technology, robotic technology system, molecule of chemical, atom cell plexus and science, abstract futuristic universe cyber network server online, background illustration 3d rendering

Uniklinik RWTH Aachen an deutschlandweiten Forschungsprojekt FOR2690 „Translationale Pruitusforschung“ beteiligt

von Uniklinik RWTH Aachen18. November 2021
Blickpunkt_Notfallmedizin

„Wir sind Teamplayer, keine Einzelkämpfer!“ – Interview mit Dr. Jörg Christian Brokmann

von Uniklinik RWTH Aachen1. September 2021
Hackenberg-quer

Neuer Klinikdirektor und Lehrstuhlinhaber für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie

von Uniklinik RWTH Aachen5. August 2021
RSS
Facebook
Google+
Twitter
YouTube

Schlagwörter

Auszeichnung Bakterien Bildgebung Corona Coronavirus Covid-19 Darm Deep Learning Diabetes Diagnostik Digitalisierung Fibrose Forschung Fördermittel Förderung Gehirn Genetik Herz Interview Kardiologie KI Krebs Künstliche Intelligenz Leber Lunge Medikamente Medizintechnik Nephrologie Neurologie Neuroradiologie Niere Nieren Orthopädie Pathologie Preis Projekt Publikation Schlaganfall Seltene Erkrankungen Studie Telemedizin Therapie Tumor Uniklinik RWTH Aachen Veröffentlichung

Podcastreihe

Faszination „Uniklinik RWTH Aachen“
Faszination Medizin,

Faszination „Uniklinik RWTH Aachen“

von Uniklinik RWTH Aachen9. Dezember 2022

Hervorgehoben

Wegweisende Studie in „Lancet Digital Health“ erschienen: Automatisierte Diagnostik von Nierentransplantationsbiopsien mittels Künstlicher Intelligenz
Medizin und Technik,

Wegweisende Studie in „Lancet Digital Health“ erschienen: Automatisierte Diagnostik von Nierentransplantationsbiopsien mittels Künstlicher Intelligenz

von Uniklinik RWTH Aachen16. November 2021

Kategorien

  • Ausgezeichnete Forschung
  • Entzündung und Folgen
  • Faszination Medizin
  • Forschung hautnah
  • Herz und Gefäße
  • Innere Medizin
  • Medizin und Technik
  • Neurowissenschaften
  • Onkologie
  • Psychosoziale Medizin

Archive

Verwandte Links

apropos
Stiftung Universitätsmedizin Aachen

© 2020 Uniklinik RWTH Aachen      IMPRESSUM      DATENSCHUTZERKLÄRUNG