Fast 20.000 Mal am Tag tun wir es: ATMEN. Wir sind uns dessen nicht bewusst, denn es funktioniert ganz automatisch – selbst im Schlaf. Das kann sich schlagartig ändern, wenn man an ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), dem sogenannten Akuten Atemnotsyndrom, erkrankt. Wissenschaftler der Uniklinik RWTH Aachen wollen mit einer klinischen Studie herausfinden, wie und warum sich das ARDS entwickelt und wie das Leben der Betroffenen nach dieser schweren Erkrankung verläuft.
Anne ist 34 Jahre alt. Sie ist sportlich und hat keinerlei Vorerkrankungen. Aufgrund einer Grippe wird sie ins Krankenhaus eingeliefert, ihr Zustand verschlechtert sich rapide. Die Diagnose: ARDS. Bruno ist 67 Jahre alt. Er leidet an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, der COPD, es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Doch plötzlich fühlt er sich sterbenskrank, der Notarzt bringt ihn in die Klink. Auch seine Diagnose lautet: ARDS. Während sich Bruno relativ schnell erholt, hat Anne sehr mit den Folgeschäden zu kämpfen, ihre Lebensqualität ist stark eingeschränkt. Beide Fallbeispiele zeigen, dass das Akute Atemnotsyndrom jeden treffen kann und die Genesungsprognose keine Frage des Alters ist. „Viele sind zuvor an einer Lungenentzündung oder Grippe erkrankt. Das sind sehr wichtige Risikofaktoren für ein ARDS“, sagt Dr. med. Alexander Kersten. Der Kardiologe und Intensivmediziner arbeitet seit 13 Jahren in der Uniklinik RWTH Aachen und hat schon viele Patienten mit ARDS behandelt, pro Jahr sind es durchschnittlich 40 bis 50 Personen. „Es gibt starke saisonale Schwankungen, vor allem von November bis April tritt ARDS aufgrund der Grippezeit gehäuft auf“, berichtet er. (Näheres zur Behandlung der ARDS siehe Beitrag „Auf dem Weg zur künstlichen Lunge“).
Klinische Studie soll neue Erkenntnisse liefern
Zurück zu den beiden Fallbeispielen von Anne und Bruno: Wie kann es sein, dass eine gesunde junge Frau so schwer erkrankt und sich nur langsam erholt, während Senior Bruno das Akute Atemnotsyndrom verhältnismäßig gut übersteht? Und was passiert mit den vielen anderen Patienten in der Zeit nach ihrem Krankenhausaufenthalt: Werden sie vollständig gesund, wie viele Patienten versterben an den Folgen? Das wollen Wissenschaftler der Aachener Uniklinik im Rahmen einer klinischen Studie herausfinden, die seit Januar 2018 läuft. Zu diesem Zweck arbeiten sie mit der Biobank der Uniklinik zusammen, in der menschliche Biomaterialien wie Blut und Gewebe gesammelt werden – natürlich nur, wenn der Patient dem zugestimmt hat. „Für uns ist interessant zu erfahren, ob es zum Beispiel genetische Ursachen gibt, die den Verlauf der Erkrankung bestimmen, oder ob es mit dem Stoffwechsel zusammenhängen könnte“, sagt Dr. Kersten. Die Daten werden von Doktoranden in ein Register eingetragen, um sie dort abrufen und auswerten zu können. Nach dem Krankenhaus- und Rehaaufenthalt kommen die Patienten in die Ambulanz der Lungenabteilung der Uniklinik RWTH Aachen und werden dort weiterhin betreut. Auf diese Weise können die Mediziner und Wissenschaftler den Genesungsprozess beobachten und dokumentieren. „Bislang gibt es leider kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Erkrankung, dabei sind immerhin 10 von 100.000 Einwohnern betroffen. Wir erhoffen uns, dass wir mit unseren Auswertungen neue Therapieansätze finden, die im besten Fall die Entstehung beziehungsweise den schweren Verlauf der Erkrankung sogar vermeiden“, so Dr. Kersten.