Trotz wegweisender Erkenntnisse zur Entstehung und Ausbreitung von Tumoren, ist deren Behandlung oftmals nicht zufriedenstellend. Dies gilt vor allem für fortgeschrittene, metastatische Stadien, in denen eine Heilung durch einen operativen Eingriff nicht mehr möglich ist. Chemotherapien sind hier unverändert ein wesentlicher Bestandteil der therapeutischen Konzepte. Allerdings ist die Anreicherung dieser Medikamente in Tumoren sehr gering. Ein großer Anteil der injizierten Chemotherapeutika-Dosis wirkt auf gesunde Organe und verursacht dort Nebenwirkungen wie Übelkeit, Haarausfall und Anämie. Eine Verpackung der Wirkstoffe in sogenannte Trägersysteme kann helfen, die Hürden für die Wirkstoffanreicherung in den Tumoren zu überwinden. Im Graduiertenkolleg „Tumor-Targeted Drug Delivery“ erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Biomedizinische Technologien – Experimentelle Molekulare Bildgebung mit Partnern der Uniklinik RWTH Aachen, des DWI – Leibnitz-Institut für Interaktive Materialien sowie des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die biologischen Barrieren, die die Medikamente auf ihrem Weg zur Tumorzelle überwinden müssen. Zu diesen Barrieren zählen Bestandteile und Zellen des Blutes, die Eliminationsorgane des Körpers – also Leber, Milz und Niere – sowie innerhalb der Tumoren die Blutgefäßwände und das dahinter gelegene Bindegewebe. Da die Gefäßdurchlässigkeit in vielen Tumoren im Vergleich zu gesunden Organen insbesondere für nanoskalige Wirkstoffträger erhöht ist und deren Abfluss nur langsam erfolgt, kann man diese für eine Tumortherapie effizient nutzen und gleichzeitig Nebenwirkungen reduzieren. Als Grundlage solcher Wirkstoffträger dienen verschiedene Nanomaterialien wie Polymere, Liposome, Mizellen, Antikörper und stabilisierte Mikrobläschen. Eine liposomale Wirkstoffträgersubstanz konnte von Dr. Josbert Metselaar aus der Abteilung Nanomedizin und Theranostik (Univ.-Prof. Dr. Dr. Twan Lammers) bereits erfolgreich in die Klinik überführt werden und wird derzeit zusammen mit der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation (Univ.-Prof. Dr. med. Tim Brümmendorf) für die Behandlung des Multiplen Myeloms – einer Form des Blutkrebses – klinisch getestet. Allerdings zeigen nicht alle Tumoren dieses „Enhanced Perme-ability and Retention – EPR“ genannte Anreicherungsphänomen. Es gilt daher Biomarker zu identifizieren, anhand derer Patientinnen und Patienten präselektioniert werden können. Daher werden neue Theranostika und Companion Diagnostika für die Positronenemissionstomographie (PET), Magnetresonanztomographie (MRT), photo-akustische Bildgebung und Sonographie entwickelt. Ferner wurde am Lehrstuhl für Experimentelle Molekulare Bildgebung von Dr. rer. medic. Felix Gremse die „Fluoreszenz Molekulare Tomographie – Computertomographie“ (FMT-CT)-Hybridbildgebung als neues Verfahren zur präklinischen Quantifizierung von Wirkstoffanreicherungen mit einer Firma zur Produktreife gebracht.
Neben der verbesserten Auswahl geeigneter Patientinnen und Patienten kann man versuchen, die Anreicherung der Substanzen durch „aktives Targeting“ zu verbessern. Hierbei werden kleine Moleküle an die Wirkstoffträger gebunden, über die eine Anheftung an die Zielzelle und eine nachfolgende Internalisierung möglich werden. Gezeigt werden konnte, dass aktives Targeting die Anreicherung sehr kleiner Wirkstoffträger verbessert, hingegen bereits bei Größen im Bereich von Antikörpern – etwa 15 Nanometer – kaum eine Auswirkung auf die im Tumor zurückgehaltene Wirkstoffmenge hat, da dann der EPR-Effekt klar dominiert. Allerdings verbesserte das aktive Targeting auch bei Wirkstoffträgern in der Größe von Antikörpern signifikant die Internalisierung in die Tumorzellen, was oftmals eine Vorrausetzung für die therapeutische Wirksamkeit darstellt. Gefolgert wurde, dass eine Balanzierung von passiver EPR-Anreicherung und aktivem Targeting bei Systemen in der Größenordnung von Antikörpern gegeben ist, was auch erstmalig die Größe dieser „endogenen Therapeutika“ erklärt.
Eine weitere Möglichkeit, die Anreicherung von Wirkstoffen gezielt in den Tumoren zu verbessern, ist die Modifikation der Tumor-Mikroumgebung. Dies kann pharmakologisch oder physikalisch erfolgen. Für die pharmakologische Beeinflussung der Tumormikroumgebung erwiesen sich Glukokortikoide sowie das Protein Erythropoietin als erfolgversprechend. Insbesondere Erythropoietin verbesserte deutlich die Tumorperfusion und daher auch die Anreicherung des nachfolgend applizierten Chemotherapeutikums Carboplatin. Dies führte in zwei Tumormodellen für Lungenkrebs zu einem deutlich verbesserten Therapieansprechen als die reine Chemotherapie.
Ein physikalisches Verfahren, um die biologischen Barrieren in den Tumoren zu öffnen, ist die Sonopermeation. Hierbei werden gasgefüllte Mikrobläschen, die auch mit Wirkstoffen beladen werden können, in die Blutbahn gespritzt und lokal im Tumor durch Ultraschall in Schwingung versetzt. Das Schwingen oder Zerplatzen dieser Mikrobläschen überträgt physikalische Kräfte auf das Tumorgewebe und führt zu einer Öffnung der Gefäßwände sowie einer Lockerung des Tumorbindegewebes. Ferner werden kollabierte Blutgefäße im Tumor geöffnet, wodurch die Perfusion erhöht wird. Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass das Verfahren zu einer erhöhten Wirkstoffanreicherung im Tumor führt und auch das Eindringen der Wirkstoffe in das Gewebe verbessert. Motiviert durch diese Beobachtung wurde gemeinsam mit Universitätsprofessor Dr. med. Elmar Stickeler von der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe und mit Unterstützung durch das Center for Translational & Clinical Research Aachen, kurz CTC-A, untersucht, ob ein mit Mikrobläschen verstärkter Ultraschall während einer neoadjuvanten Chemotherpie bei Brustkrebspatientinnen das Ansprechen auf die Therapie verbessert. Tatsächlich konnte durch die Sonopermeation eine signifikante Erhöhung der Tumorperfusion erreicht werden. Aktuell steht noch nicht fest, ob dies auch zu einem verbesserten therapeutischen Ergebnis führt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Aachen eine hoch innovative Umgebung geschaffen wurde, um Diagnostik und Therapie zu verbinden und neue Konzepte des Wirkstofftransportes in Tumoren bis in die klinische Umsetzung zu bringen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird hierbei helfen, klinisch vielversprechende Wirkstoffträger zu entwickeln und einen signifikanten Beitrag zur personalisierten Tumortherapie zu leisten.
Quellennachweise und Autorenlisten finden Sie im Forschungsmagazin RWTH THEMEN.