Menschen ähneln sich nur in dem Teil der Hirnfläche, die der Körperwahrnehmung dient.
Jeder Mensch ist einzigartig – und das, obwohl sich Menschen genetisch so ähneln. Dass sich die Gehirnflächen der Menschen aber tatsächlich in nur fünf Prozent gleichen, haben Forscher des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung (IZKF) der Uniklinik RWTH Aachen nun herausgefunden. Dafür untersuchten die Wissenschaftler die Hirnflächen von 42 Personen.
„Wir schauen uns dabei kleine Ausschnitte von so genannten Hirnkarten an und berechnen, ob die lokale Landschaft bei den unterschiedlichen Personen gleich aussieht“, erklärt der Informatiker André Schüppen von der Brain Imaging Facility im IZKF. „Wir haben dazu Personen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund untersucht und herausgefunden, dass die Personen in unserer Stichprobe sich nur in fünf Prozent der gesamten Hirnflächen ähneln. Diese Flächen befinden sich erstaunlicherweise sehr konzentriert in Hirnarealen die dazu dienen, den Körper wahrzunehmen.“ Dazu zählt zum Beispiel das Kribbeln, das entsteht, wenn eine Ameise über die Nase läuft oder das Gefühl, das man hat, wenn man mit bloßen Händen einen Teig knetet. Die Autoren vermuten daher, dass die Menschen sich am besten verstehen, wenn sie über einfache Köperwahrnehmungen kommunizieren. Unter der Mitteilung „Mich juckt es am Knie“ stellt sich jeder ungefähr das Gleiche vor.
Für die Studie wurde die äußere, graue Substanz des Hirns, auch Kortex genannt, untersucht. Sie ähnelt – verglichen mit einer Frucht – der Fruchtschale, während die andere Hauptsubstanz des Hirns, die Weiße Substanz, dem Fruchtfleisch ähnelt. „Die Weiße und Graue Hirnsubstanz haben jeweils eine eigene Funktion, die sich mit dem Internet vergleichen lässt“, erklärt André Schüppen. „Die Hirnzellen in der Grauen Substanz spielen die gleiche Rolle wie die Computer, während die Weiße Substanz mit den Verbindungs-Kabeln zwischen den Computer vergleichbar ist.“ Die Dicke der Grauen Substanz kann etwas über die Funktion eines Hirnareals aussagen. So ist der Kortex des Tastsinns sehr dünn. Die Dicke des Kortex kann auch etwas über das Alter oder die Gesundheit des Hirns aussagen. So haben Menschen mit Alzheimer-Demenz im Allgemeinen einen sehr dünnen Kortex. Die Dicke des Kortex liefert somit eine wichtige Information, welche man mittels Magnet-Resonanz-Tomographie erfassen kann. Es ist möglich, eine Karte der kortikalen Dicken für einen Menschen anzufertigen. „So eine Kortikale-Dicken-Karte sieht in gewisser Weise wie eine Berglandschaft aus. Wir haben nun eine neuartige Methode entwickelt, die dazu dient, herauszufinden ob sich bei unterschiedlichen Menschen Berge und Täler der äußeren Hirnschicht an der gleichen Stelle befinden“, so André Schüppen. Und eben diese Methode brachte das erstaunliche Ergebnis hervor, dass nur ein geringer Teil der Hirnoberflächen bei den untersuchten Personen gleich ist.
Was ist nun mit den restlichen 95 Prozent der Hirnfläche? Wieso sind die Menschen sich da so unähnlich? „Dafür gibt es im Prinzip zwei Erklärungen“, sagt André Schüppen. „Die erste Erklärung ist, dass Umwelt und Gene die Gehirne von Menschen recht unterschiedlich machen. Somit würde jeder Mensch ein vollkommen einmaliges Gehirn aufweisen, was erklärt, warum Menschen sich so im Denken und Fühlen unterscheiden.“ Aber auch eine andere Erklärung, die sich die selbstkritischen Forscher stellen, ist möglich: Vielleicht sind die Vergleichsmethoden noch nicht gut genug: „Man stelle sich Röntgenbilder von den Körpern verschiedener Menschen vor: Kein Arzt würde jemals auf die Idee kommen, die Funktionen von Leber und Lunge zu verwechseln, auch wenn sie direkte Nachbarn sind. Aber wenn man versucht zwei Röntgenbilder von zwei verschiedenen Menschen zu mitteln, kann es natürlich zu Überlappungsproblemen kommen. Die Leber der einen Person mischt sich dann mit der Lunge der anderen Person. Das heißt, wenn man mittelt, muss man auch sicher sein, dass man das gleiche Organ mittelt.“ Gleiches gilt für das Gehirn, das man sich als eine Ansammlung von vielen Organen vorstellen kann. Der Kortex besteht je nach Sichtweise aus ungefähr 45 bis 200 Unter-Organen, die im MRT allerdings nicht als solche zu erkennen sind. Vor diesem Hintergrund sagen Hirnkarten zwar etwas über die Beschaffenheit des Hirns aus, eine echte Vergleichbarkeit ist aber nicht unbedingt gegeben. Zwar sind die Computermethoden für die Hirnanpassung bereits sehr fortgeschritten, doch die Wissenschaftler genießen ihre eigenen Forschungsergebnisse stets mit Vorsicht – und forschen weiter.
Studie:
On the homogeneity and heterogeneity of cortical thickness profiles in Homo sapiens sapiens
Jan Willem Koten Jr., André Schüppen, Maria Morozova, Agnes Lehofer, Karl Koschutnig & Guilherme Wood
Scientific Reports 7, Article number: 17937 (2017) doi:10.1038/s41598-017-17154-y