Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Dr. med. Maike F. Dohrn, Assistenzärztin in der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen und Forschungsstipendiatin am Hussman-Institut der University of Miami, hat erfolgreich gezeigt, dass Mutationen im SPTLC2-Gen zu juveniler amyotropher Lateralsklerose (JALS) führen können. Die Ergebnisse wurden nun im renommierten Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry veröffentlicht.
Bei der amyotrophen Lateralsklerose, kurz ALS, handelt es sich um eine seltene und unheilbare neurodegenerative Motoneuron-Erkrankung, bei der nach und nach motorische Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn absterben. Bei den Betroffenen kommt es sukzessive zur Lähmung der Muskeln im gesamten Bewegungsapparat, die meist innerhalb weniger Jahre zum Tod führt. Mit Fortschreiten der Erkrankung verlieren Patientinnen und Patienten sämtliche motorische Fähigkeiten, die geistige Leistung und Denkfähigkeit bleiben davon jedoch unberührt. ALS tritt in den meisten Fällen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Sehr selten erkranken junge Menschen vor dem 25. Lebensjahr, man spricht dann von juveniler amyotrophen Lateralsklerose (JALS).
Da die Ursache der Erkrankung, mit Ausnahme der seltenen erblichen Formen, bis heute unbekannt ist, gibt es keine wirksame Therapie oder Heilung. Die von Dr. med. Maike Dohrn geleitete Studie weckt nun neue Hoffnungen bei jungen ALS-Patientinnen und -Patienten.
SPT-Proteinkomplex im Fokus
Im Rahmen seiner Arbeit konzentrierte sich das Forschungsteam auf den SPT-Proteinkomplex, zu dem auch SPTLC2 gehört. SPT hilft bei der Synthese von Sphingolipiden und Ceramiden, zwei Fettarten (Lipide). Sphingolipide bilden Zellmembranen, unterstützen die zelluläre Kommunikation und sind für die Gesundheit der Nervenzellen unerlässlich. Treten Mutationen in einer bestimmten Region des SPT-Proteinkomplexes auf, führt dies zu einer Motoneuronen-Erkrankung. Ähnliche Mutationen wirken sich jedoch auf andere Teile desselben Komplexes aus, was eine sensible Neuropathie verursacht.
Verdacht auf SPTLC2 bei ALS
SPTLC2-Defekte werden mit der hereditären sensiblen und autonomen Neuropathie Typ 1 in Verbindung gebracht, bedingt durch eine Schädigung der sensiblen Nerven.
Dr. Dohrn arbeitete mit Patientinnen und Patienten mit sensibler Neuropathie. Eine kooperierende Forschergruppe stellte im Jahr 2021 fest, dass Mutationen in SPTLC1, einer anderen Komponente des SPT-Komplexes, mit ALS in Verbindung gebracht werden können. Sie vermutete, dass auch SPTLC2-Varianten eine Rolle spielen könnten – zurecht: Die aktuelle Studie belegt, dass verschiedene Mutationen desselben Proteinkomplexes ALS im Jugendalter auslösen.
Das Team untersuchte genomische Sequenzen von 700 ALS-Patientinnen und -Patienten auf SPTLC2-Mutationen. Sie fanden sie bei zwei jungen Betroffenen, die unter einer früh einsetzenden Muskelschwäche litten. Zusätzliche Analysen ergaben erhöhte Konzentrationen von Sphingolipiden und Ceramiden im Patientenblut, was auf eine Gain-of-Function-Mutation hindeutet.
Aussicht auf neue Therapieansätze
„Die Forschungsergebnisse sind ein großer Erfolg – nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene. Wir möchten diesen Ansatz künftig weiter verfolgen und ausbauen, denn er hat großes Potential zur Verbesserung der klinischen Versorgung von ALS-Erkrankten. Durch die Identifizierung der SPTLC2-Gen-Mutation als mögliche Ursache für juvenile amyotrophe Lateralsklerose könnten auf lange Sicht neuartige, medikamentöse Therapien entwickelt werden, die eben genau auf den SPT-Komplex abzielen“, so Dr. Dohrn, Erstautorin der Studie.
Die Publikation finden Sie hier:
Recurrent de-novo gain-of-function mutation in SPTLC2 confirms dysregulated sphingolipid production to cause juvenile amyotrophic lateral sclerosis | Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry (bmj.com)