Werden Babys vor Vollendung der 28. Schwangerschaftswoche geboren, spricht man von extremen Frühgeburten. Unterentwickelte Organe und ein unreifes Immunsystem können zu gesundheitlichen Beschwerden und bleibenden Einschränkungen führen. Um die allerkleinsten Patienten während der besonders kritischen ersten Wochen optimal vor Kälte, Schmerzreizen und Krankheitserregern zu schützen, entwickelt das EU-geförderte „Perinatal Life Support System“ eine künstliche Fruchthöhle, in der das Kind ähnlich wie in der Schwangerschaft in eine flüssige Umgebung eingebettet ist.
Für ungeborene Babys gibt es keinen besseren Ort als den Mutterleib, um zu wachsen und zu reifen. Wenn der Start ins Leben jedoch zu früh beginnt, ist besondere Aufmerksamkeit und medizinische Hilfe wichtig. „Viel zu früh geborene Babys haben ein erhöhtes Risiko für Gesundheitsprobleme, da ihr Immunsystem noch nicht vollständig entwickelt und die Organe nicht komplett ausgebildet sind. Es können beispielsweise Atemwegskomplikationen, Seh- oder Hörstörungen sowie neurologische Beschwerden auftreten, die sie ein Leben lang begleiten“, so Priv.-Doz. Dr. med. Mark Schoberer, Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Neonatologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Kann das Baby im Mutterleib nicht mehr gut versorgt werden und steht eine Frühgeburt bevor, benötigen die Allerkleinsten besondere Unterstützung bei Organ- und Körperfunktionen wie der Atmung oder Ernährung. Um die Entwicklung der Risikoneugeborenen zu unterstützen, möchte das EU-geförderte Projekt „Perinatal Life Support“ die Überlebenschancen von Frühgeborenen verbessern und neue Konzepte und Maßnahmen für die perinatale Lebenserhaltung erproben. In dem Projekt arbeiten an der Uniklinik RWTH Aachen Ingenieure des Instituts für Angewandte Medizintechnik, Lehr- und Forschungsgebiet kardiovasukuläre Technik (AME/CVE) gemeinsam mit Ärzten der Neonatologie. Es ist Teil des europäischen Forschungsprogramms Horizon 2020 und an dem Konsortium sind außer der Uniklinik RWTH Aachen auch Wissenschaftler der TU Eindhoven, dem Politecnico di Milano, Nemo healthcare und der LifeTec Group beteiligt.
Wunder des Lebens
Ein Schwerpunkt der experimentellen Forschungsarbeit liegt auf der Entwicklung neuer medizinischer Geräte und Technologien, die es möglich machen, Frühgeborene in einer flüssigen Umgebung zu behandeln, mit Sauerstoff und allen Nährstoffen zu versorgen und dabei ähnlich wie heute die lebenserhaltenden Körperfunktionen jederzeit zu überwachen. Die angestrebte Lösung für eine optimierte perinatale Versorgung ist, ein künstliches Umfeld in Form eines flüssigen „Brutkastens“ zu schaffen, der die natürliche Umgebung eines Säuglings im Mutterleib nachahmt und es den Frühgeborenen zwischen der 24. und 28. Woche erlaubt, sich weiter zu entwickeln, bis ihre Chancen auf ein gesundes Leben deutlich erhöht sind. Sobald für die Eltern und das medizinische Personal wahrnehmbar wird, dass es dem Kind in der schützenden Umgebung gut geht, kann dies auch den Eltern und Familien ein beruhigendes Gefühl in einer angespannten Situation vermitteln. Zugleich verändert sich aber die Beziehung vor allem zwischen Mutter und Kind sehr deutlich: Während das Kind zuvor spürbar im Körper der Mutter geborgen ist, besteht nun durch das System eine Barriere, die es von den Sinneswahrnehmungen der Eltern abschirmt. „Die vielleicht größte Herausforderung eines solchen Systems wird darin liegen, den Eltern den bestmöglichen Beziehungsaufbau zum Kind zu ermöglichen“, erklärt der Oberarzt. Die intensivmedizinische Behandlung von Patienten in einer flüssigen Umgebung wird zum Teil völlig neue Aufgaben an das ärztliche und pflegerische Personal stellen. Um diese schon vor der ersten Behandlung eines Menschen trainieren zu können, wurden in der Abteilung für Industrial Design der TU Eindhoven eine Reihe von Simulationspuppen (Manikins) entwickelt, die es erlauben, beispielsweise die einzelnen Behandlungsschritte bei der Überführung des Kindes in die neue Umgebung nach der Geburt einzuüben. Ein wesentlicher Teil des Projekts liegt auch jenseits der Entwicklung neuer medizinischer Geräte und Technologien. Er besteht darin, parallel auch die Veränderung der Arbeitswelt vorherzusehen, Lösungen zu erarbeiten und mit dem Personal zu trainieren“, fasst Dr. Schoberer zusammen.