Fast 18 Millionen Deutsche sind älter als 65 Jahre. Rund 750.000 von ihnen werden in vollstationären Pflegeeinrichtungen betreut. Die Akutversorgung dieser pflegebedürftigen geriatrischen Personen durch ein intersektorales telemedizinisches Kooperationsnetzwerk rund um die Uhr zu optimieren und Krankenhausweisungen zu vermeiden, ist Ziel des Innovationsfondsprojekts Optimal@NRW. Es wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit rund 15 Millionen Euro gefördert. Das im April 2020 gestartete Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren.
Unsere Gesellschaft wird immer älter, viele Seniorinnen und Senioren leben bereits in Alten- oder Pflegeheimen. Die ganzheitliche, optimale Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner stellt eine besondere Herausforderung für die nahe Zukunft dar. Genau an diesem Punkt setzt das Innovationsfondsprojekt Optimal@NRW an. Mit dem Innovationsfonds des G-BA werden Projekte gefördert, die sich für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens einsetzen und die gemeinschaftliche, medizinische Versorgung effektiver und besser vernetzt gestalten wollen. Optimal@NRW ist ein solches Projekt.
Medizinische Akutversorgung sichern
Optimal@NRW etabliert eine sektorenübergreifende, telemedizinisch unterstützte Herangehensweise in der Akutversorgung pflegebedürftiger geriatrischer
Personen. Dieser Ansatz umfasst die Ausstattung der teilnehmenden Heime mit einem Frühwarnsystem sowie telemedizinischem Equipment für eine bidirektionale Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Das Frühwarnsystem soll aufgrund von Vitalparametern und medizinischen Beobachtungen bereits vor Ort einen sich verschlechternden Gesundheitszustand früher erkennen und die Dringlichkeit einer medizinischen Versorgung besser bestimmen können.„Ziel des Projektes ist ein neuer struktureller Ansatz zur Verbesserung der medizinischen Akutversorgung. Gleichzeitig sollen inadäquate Krankenhauseinweisungen geriatrischer Patientinnen und Patienten vermieden werden“, so Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Christian Brokmann, Projektkoordinator und Leiter der Zentralen Notaufnahme der Uniklinik RWTH Aachen.
Entlastung des Pflegepersonals
Viele ältere Bewohnerinnen und Bewohner werden bei akuten medizinischen Fragestellungen, mangels einer ärztlichen Expertise, häufig direkt in die Notaufnahme eingeliefert, obwohl ein Krankenhausaufenthalt und der damit verbundene Krankentransport nicht unbedingt nötig gewesen wären. Solche vermeidbaren Aufenthalte und Transporte können einen negativen Einfluss auf den Gesundheitszustand haben. „Geriatrische Patientinnen und Patienten sind in so einer Situation sehr angespannt und stehen unter einer hohen psychischen Belastung. Sie werden aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, fühlen sich orientierungslos und sind einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Verwirrtheitszustände oder Komplikationen durch die Immobilisation beim Transport können die Folge sein“, erklärt Dr. Brokmann. Optimal@NRW will dies vermeiden, indem das Pflegepersonal durch die Möglichkeit der Telekonsultation vor Ort entlastet und mithilfe einer telemedizinisch-qualifizierten Ersteinschätzung die medizinische Dringlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes korrigiert oder untermauert wird. „Wir wollen den Verantwortungsdruck des Pflegepersonals gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern minimieren, medizinische Hilfe besser verfügbar machen und dadurch Ressourcen besser nutzen, die zielorientierte Zusammenarbeit fördern und die ärztliche Versorgung durch die Integration telemedizinischer Lösungen optimieren“, fasst der Projektkoordinator zusammen.
Der virtuelle Tresen
Zu diesem Zweck wird in der Region Aachen (Kreis Heinsberg, Kreis Düren, Stadt und Städteregion Aachen) ein virtueller digitaler Tresen geschaffen, der das Projekt um eine weitere Säule in der Notfallversorgung von pflegebedürftigen und besonders vulnerablen Bewohnerinnen und Bewohnern erweitert und die telemedizinische Komponente ergänzt. Betrieben wird dieser von der Uniklinik RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Diese telemedizinische Anlaufstelle soll pflegebedürftigen Personen einen auf die Bedürfnisse angepassten, telemedizinisch unterstützten Zugang zur Akutversorgung ermöglichen. Tritt der Fall einer medizinischen Fragestellung ein, kann das Pflegepersonal den virtuellen Tresen kontaktieren und muss sich nicht erst auf die Suche nach Hilfe begeben. Anschließend wird die Dringlichkeit des Falls erfasst und – je nach Befund – die Vermittlung an den Hausarzt, den kassenärztlichen Notdienst oder an einen Notfallmediziner der Notaufnahme der Uniklinik RWTH Aachen in die Wege geleitet. Eine entsprechende Hilfestellung erfolgt schnell und unkompliziert. Zusammenarbeit mit Hausärzten ist entscheidend Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt aber weiterhin der Hausarzt. Durch ihn werden alle wichtigen Informationen der Patientinnen und Patienten in einer zentralen Patientenakte gespeichert und mit den elektronischen Pflegedokumentationen der Heime kombiniert. Alle beteiligten Akteure haben, durch die Vernetzung von Alten- und Pflegeheimen, Hausärzten, Pflege- und Rettungsdiensten und Notaufnahmen, Zugriff auf dieselben Informationen, was eine ganzheitliche und optimale Versorgung gewährleistet. Sollte die medizinische Notfallversorgung extern durchgeführt worden sein, wird der Hausarzt umgehend über diese Behandlung informiert. „Mithilfe des neuen Kooperationsnetzwerkes haben wir die Möglichkeit, Telekonsultationen mit teilnehmenden Ärzten durchzuführen. Das spart Zeit, vermeidet einen unnötigen Krankentransport und optimiert vorhandene Ressourcen“, so Dr. Brokmann.
Optimale Ressourcennutzung
Die demografische Entwicklung ändert die Sichtweise auf unsere Gesellschaft. Sie verändert die Struktur in der Behandlung von Alten- und Pflegeheimbewohnern höheren Alters. Da die Menschen immer älter und kränker werden, muss die medizinische und pflegerische Versorgung dementsprechend angepasst werden. „Mit Optimal@NRW wollen wir zeigen, wie Klinikeinweisungen reduziert werden können, indem wir die Zusammenarbeit der Sektoren Rettungsdienst, Pflegepersonal und Ärzte effektiver gestalten. Unser Projekt soll dabei helfen, die Ressourcen effizienter einzusetzen, Bewohnerinnen und Bewohner vor unnötigen Einweisungen zu bewahren und das Pflegepersonal zu entlasten. Daher freut es mich sehr, dass wir 25 Pflegeeinrichtungen und viele weitere Partner für unser Projekt gewinnen konnten“, resümiert Dr. Brokmann.