Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind ein Thema der Zukunft – auch und vor allem in der Medizin. Sie haben das Potential, die gesundheitliche Versorgung zu revolutionieren, Diagnosen präziser und Therapien besser zu machen. Computerbasierte Methoden könnten zukünftig zur verbesserten Therapiesteuerung von Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen beitragen. Der junge Mediziner und Wissenschaftler Jun.-Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather aus der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen forscht derzeit an automatisierten Bilderkennungsverfahren, die mithilfe Künstlicher Intelligenz kleinste Gewebepräparate von Tumoren aus dem klinischen Alltag klassifizieren sollen.
Die Möglichkeiten, die sich durch die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) und sogenanntem Machine Learning bieten, sind vielfältig und haben bereits zu einer fundamentalen Wandlung unseres Alltagslebens geführt. Anwendungsgebiete von KI liegen unter anderem darin, bestimmte Muster zu erkennen, Entwicklungen vorherzusagen, Risiken abzuschätzen und Entscheidungen zu unterstützen – Prozesse, die vor allem in der Medizin von großer Bedeutung sind.
Sowohl die Diagnose, als auch die Therapie von Krebs sind äußerst komplex und müssen eine Vielzahl verschie-dener Faktoren berücksichtigen. „Hier birgt die Digitalisierung ein großes Potential. Computergestützte Verfahren bieten neue Chancen, Patientinnen und Patienten zukünftig besser und zielgerichteter zu behandeln und das medizinische Personal in seinen Therapieentscheidungen zu unterstützen“, betont Jun.-Prof. Kather.
Hintergrund
Deutschlandweit erkranken jährlich rund 500.000 Menschen an bösartigen Tumoren. Dank der Entwicklung neuer, hochwirksamer Medikamente erhalten immer mehr Krebspatientinnen und -patienten die Chance auf eine personalisierte Therapie, wodurch sich die Behandlung vieler Tumoren in den vergangenen Jahren verändert hat. „Doch eben nicht alle haben das Glück beziehungsweise erfüllen die Voraussetzung für den Einsatz solcher Medikamente“, schildert Jun.-Prof. Kather die Problematik. Denn für den wirksamen Einsatz spezieller Therapien muss ein Tumor bestimmte Veränderungen aufweisen. „Für die Suche und Identifi zierung von zueinander passenden Tumoren und Medikamenten sind gegenwärtig spezielle Labortestungen notwendig, die nicht nur zeit- und arbeitsaufwendig, sondern auch kostenintensiv sind“, erklärt der Wissenschaftler die Problematik. Mit detaillierten Informationen über verschiedene Tumoren kann die personalisierte Therapie unterstützt werden – und genau das möchte das zehnköpfige Aachener Forschungsteam mit dem Einsatz von KI vorantreiben.
Tumortypen charakterisierenen
Die Diagnose Krebs wirebs wird in aller Regel durch die Beurteilung von Gewebeproben in der Pathologie gestellt. Bisher werden dafür herkömmliche mikroskopische Verfahren, wie zum Beispiel die Lichtmikroskopie, verwendet. Bevor die Proben unter dem Mikroskop betrachtet werden, werden sie aufgearbeitet, auf einen Objektträger gebracht, und je nach Fragestellung eingefärbt, um Strukturen besser sichtbar zu machen. Ein Blick auf die aus einem Tumor gewonnenen Zellen und Gewebeproben liefert viele Informationen über Struktur, Zusammensetzung und Wachs-tumsverhalten des Tumors. Diese Informationen gehören zu den Bausteinen, anhand derer in einer interdisziplinären Tumorkonferenz entschieden wird, welche Strategie zur Behandlung des Krebspatienten letztlich empfohlen werden soll.
„Ein Problem ist jedoch, dass dieses Vorgehen häufi g nicht ausreicht, um die Prognose eines Tumors genau abzuschätzen und gezielte Therapiemöglichkeiten zu defi nieren. Oft werden weitere Informationen zum biologischen Verhalten eines Tumors benötigt, die mit genetischen Tests bestimmt werden müssen – und das kostet Zeit“, erklärt Hannah Sophie Muti, eine Doktorandin aus dem Forschungsteam.
Molekulare Klassifikation
Tumoren können nicht nur nach ihrem Aussehen unter dem Mikroskop, sondern auch nach zugrundeliegenden mole-kularen Mechanismen, wie beispielsweise Mutationen, klassifi ziert werden. Diese Klassifizierung legt oft den Grundstein für die Wahl der Therapie. Vor allem Patientinnen und Patienten mit besonders aggressiven Tumoren können molekular klassifi ziert werden, um Mutationen zu fi nden und gezielt behandeln zu können. In einigen Fällen kommen Patienten trotz umfangreicher Tests nicht zu ihrer abschließenden Klassifi zierung, zum Beispiel, wenn zu wenig Gewebematerial da ist oder die Ergebnisse nicht eindeutig sind. Für die Methode, an der das Team von Jun.-Prof. Kather seit 2018 arbeitet, ist jedoch kein weiteres Gewebematerial notwendig. „Mit unserer Technik setzen wir Künstliche Intelligenz so ein, dass wir routinemäßig vorliegende Gewebepräparate mithilfe spezieller Bildunterstützungssysteme auf ausführliche Informati-onen, wie zum Beispiel die molekulare Klassifikation eines Tumors, analysieren. Wir möchten vorhersagen, ob ein Tumor aggressiver oder weniger aggressiv ist, ob und welche Mutationen vorliegen und welche zielgerichtete Therapie im speziellen Fall besonders geeignet ist – und zwar mit ein und demselben Gewebeschnitt“, sagt Jun.-Prof. Kather.
Daten – der Grundstoff für die Medizin von morgen
Die Forscher nutzen hierfür bereits verfügbare Daten, wie his-tologische Bilddaten und molekulare Daten von Patientenfällen häufi ger Tumoren. „Wir trainieren einen lernenden Algorithmus mit einem Datensatz aus Gewebe-Bildern, vorrangig von Magen- und Darmkrebs, sowie mit den entsprechenden Sequen-zierungsdaten und Informationen über den Krankheitsverlauf“, erklärt Muti das Vorgehen. In der laufenden Produktion wertet die sogenannte Deep-Learning-Software eigenständig Bilder aus und gleicht sie in Millisekunden mit tausend anderen Bildern ab. „So ermittelt die Künstliche Intelligenz in Echtzeit Abweichungen oder Übereinstimmungen und kann den Tumor anhand des Gewebebildes klassifi zieren“, erklärt die Doktorandin.
Verbesserte Krebsmedizin
Die Bandbreite moderner mikroskopischer Untersuchungen ist groß und reicht von der schnellen Tumordiagnostik bis hin zu aufwendigen Nachweisen tumortypischer Strukturen und molekularer Marker. „Untersuchungen, die eine große Erfahrung und Expertise in der Krebsdiagnostik voraussetzen, bleiben daher in der Regel eher Spezialkliniken und -laboren vorbehalten“, so Jun.-Prof. Kather. Doch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz könnte in der Zukunft die molekulare Diagnostik bösartiger Tumoren nicht nur schneller, sondern auch günstiger und damit in der Breite verfügbar machen. „Solche Verfahren könnten die Testung auf bestimmte Eigenschaften eines bösartigen Tumors deutlich vereinfachen und Diagnosen beschleunigen. Langfristig würde es dazu beitragen, dass mehr Krebspatientinnen und -patienten Zugang zu einer an ihre speziellen Bedürfnisse angepassten, optimalen Therapie erhalten“, so der junge Wissenschaftler.
Mit dieser innovativen Vorgehensweise der Informationsauswertung können zukünftig die Therapieintensität angepasst und relevante Nebenwirkungen sowie mögliche Folgeschäden vermieden werden. Somit könnte das Forschungsvorhaben dabei helfen, einer alternden Gesellschaft mit Zunahme an Krebserkrankungen den nötigen flächendeckenden Zugang zu einer verbesserten Krebsmedizin zu sichern und gleichzeitig auf lange Sicht zu einer Einsparung von Kosten und wertvoller Personalressourcen beitragen.