Darmkrebs, auch kolorektales Karzinom genannt, zählt zu den häufigsten Krebsarten – und ist eine der häufigsten Krebs-Todesursachen. Die Hälfte der Patienten mit einem kolorektalen Karzinom sind zugleich von Metastasen betroffen, bei mindestens jedem Vierten streut der Krebs im Krankheitsverlauf in die Leber. Wann siedeln sich Tumorzellen bei Darmkrebs in der Leber an – und warum? Forscher der Uniklinik RWTH Aachen suchen Antworten auf diese Fragen und Wege, die Behandlungsoptionen bei kolorektalen Lebermetastasen zu verbessern.
Lange galt das hepatisch metastasierte kolorektale Karzinom, also in die Leber metastasierter Darmkrebs, als nicht heilbare Erkrankung. Doch dank der rasanten Fortschritte in der chirurgischen Therapie des letzten Jahrzehnts kommen Lebermetastasen heute keinem Todesurteil mehr gleich. Trotzdem: Die Lebermetastasierung ist immer noch mit einer schlechten Prognose verbunden. Bei den meisten Krebspatienten ist nicht die ursprüngliche Krebserkrankung, sondern sind die Metastasen die Haupttodesursache. Um die Behandlungsoptionen zu verbessern, hat die Forschung also immer noch einiges zu tun.
An der Uniklinik RWTH Aachen befassen sich Prof. Dr. med. Sven Arke Lang, Leitender Oberarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, und seine Arbeitsgruppe mit Lebermetastasen bei Darmkrebs. Das Team arbeitet sowohl mit klinischen Auswertungen als auch experimentell. „Uns geht es vor allem um ein verbessertes Verständnis“, erklärt Prof. Lang. Der Chirurg hat neben seiner Tätigkeit in der Krankenversorgung zuvor bereits in Freiburg und Regensburg zu Lebermetastasen geforscht, seit einem Jahr ist er in Aachen. „Bei der Leber gibt es nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf Operationen, Ablationen und systemische Chemotherapie, obwohl sich dies in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Darum ist es wichtig, zu verstehen, was die Entstehung und das Wachstum von Lebermetastasen begünstigt. Nur so können wir Wege zu einer verbesserten Behandlung finden.“
Was sind Lebermetastasen?
Lebermetastasen sind keine eigenständige Krebserkrankung und nicht zu verwechseln mit Leberkrebs. Metastasen in der Leber gehen von einer anderen, außerhalb der Leber liegenden Krebserkrankung aus, zum Beispiel Darmkrebs (kolorektales Karzinom). Sie entstehen, wenn sich Tumorzellen von ihrem Ursprungstumor in einem anderen Organ ablösen, sich beispielsweise über die Blutbahn im Körper verteilen und in der Leber ansiedeln.
Klinische Auswertung: Datenbank zu Lebermetastasen
Ein besseres Verständnis bringt zum einen der systematische Blick auf Erfahrungswerte bei Therapien. Seit 2010 wurden in der Uniklinik RWTH Aachen rund 500 Patienten mit kolorektalen Lebermetastasen behandelt. Es ist das Jahr, in dem Univ.-Prof. Dr. med. Ulf Peter Neumann seinen Dienst als Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie aufgenommen und die spezielle leberchirurgische Expertise an die Uniklinik RWTH Aachen gebracht hat. Prof. Lang und sein Team nutzen das Wissen aus den seither durchgeführten Behandlungen für den Aufbau einer umfassenden Datenbank.
In dem Register werden die Daten von der Diagnose über einzelne Behandlungsschritte und die Nachsorge bis hin zu Rückfällen, Überleben und Tod erfasst und ausgewertet. Es sind überwiegend klinisch sehr komplexe Fälle, die in der Uniklinik behandelt werden. Prof. Lang hofft, so langfristig die Behandlung von Tumorerkrankungen zu verbessern. „Die Datenbank kann uns verraten, wo wir uns verbessern können und wann eine Operation aussichtsreich oder nicht ist“, erklärt der Chirurg. „Wir können Risikofaktoren für Rezidive, also zurückkehrende Tumoren erkennen oder Faktoren, die für eine Chemotherapie sprechen oder nicht. Auch ob der Primarius, der Primärtumor beim Darmkrebs links- oder rechtsseitig liegt, macht einen Unterschied.“ Grundlegend treibt die Ärzte die Frage an, wie sie mehr Patienten mit einem hepatisch metastasierten kolorektalen Karzinom in einen operablen Zustand bringen können, denn die komplette Entfernung der Metastasen bietet zumindest eine Chance auf Heilung. Die Datenbank hilft, Antworten auf diese Frage zu finden.
Experimentelle Forschung: Einfluss von mTORC2
Neben der klinischen Auswertung von kolorektalen Lebermetastasen ist die Arbeitsgruppe von Prof. Lang auch experimentell tätig, um zu verstehen, warum Tumorzellen in der Leber wachsen. Im Fokus steht ein Proteinkomplex namens mTORC2 (Mechanistic (früher: :Mammalian) Target of Rapamycin complex 2). mTORC2 steht im Zusammenhang mit dem wichtigen Regulatorenzym mTOR, einer Serin/Threonin-Kinase, die in allen Säugetieren vorkommt. „mTOR aktiviert Proteine und Enzyme und löst eine Vielzahl von Signalwegen in der Zelle aus. Es stellt einen entscheidenden Regulator für die Proliferation, also das Wachstum und die Teilung von Zellen, und den Stoffwechsel dar“, erklärt Prof. Lang. „Eine Aktivierung von mTOR wirkt unter anderem leistungssteigernd und wachstumsfördernd. Analog dazu übt eine Hemmung auf dem mTOR-Signalweg eine starke Antitumoraktivität aus.“
Aktiv ist mTOR über zwei funktionell unterschiedliche Kinasekomplexe, mTORC1 und mTORC2. Bei letzterem setzt die Forschung von Prof. Lang an. „Der mTOR-Komplex 1 ist wissenschaftlich bereits relativ gut untersucht – anders als mTORC2“, so der Wissenschaftler. „Seit einigen Jahren aber wird der mTOR-Komplex 2 zunehmend als wichtiger Akteur bei der Entwicklung und Progression von Krebs beim Menschen anerkannt. Unser Wissen ist allerdings noch sehr begrenzt, es ist bisher wenig über die spezifische Hemmung von mTORC2 in Bezug auf Lebermetastasen bekannt.“ Darum nehmen Prof. Lang und seine Kollegen gezielt diesen Proteinkomplex ins Visier. Die Ergebnisse sind vielversprechend, zum Beispiel die Untersuchungen mit siRNA oder dem mTORC2-spezifischen Inhibitor JR-AB2-011. Im Mausmodell konnte mit Kollegen aus Regensburg, Freiburg und Erlangen bereits eine signifikante Verringerung der Lebermetastasierung bei mTORC2-Hemmung gezeigt werden. Die Wissenschaftler sind daher zuversichtlich, dass die Blockade des mTOR-Komplex 2 ein wirksamer neuartiger Ansatz zur Bekämpfung von Lebermetastasen bei Krebs ist. Sie forschen weiter, damit Krebspatienten mit Metastasen in der Leber künftig noch zielgerichteter behandelt werden können – und sich ihre Lebenserwartung erhöht.
DFG-geförderte Forschung
Seit 2014 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Forschergruppe „FOR 2127: Selektion und Adaptation während der metastatischen Krebsprogression“. Prof. Lang bringt seine Forschungsergebnisse gemeinsam mit Prof. Dr. med. Claus Hellerbrand von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg über ein Teilprojekt mit in das Projekt ein.