Herz-Kreislauferkrankungen führen nach wie vor die Liste der häufigsten Todesursachen in den entwickelten Ländern an. Auch in der Zukunft wird deswegen die Erforschung von kardiovaskulären Krankheitsbildern und deren Behandlungsstrategien eine maßgebliche Rolle spielen. Immer bedeutsamer werden dabei groß angelegte Kohortenstudien und Biobanken sowie die IT-gestützte Datenanalyse. Die Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin (Med. Klinik I) der Uniklinik RWTH Aachen unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Nikolaus Marx ist nicht nur die zahlenmäßig stärkste Klinik ihrer Art in NRW, hier wird auch intensiv daran geforscht, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische Praxis zu überführen. Die Klinik ist Teil des Westdeutschen Herzzentrums Aachen und arbeitet im Team eng mit Herz- und Gefäßchirurgen sowie Kinderkardiologen und Kinderherzchirurgen zusammen.
Prof. Marx: In den vergangenen 20 Jahren ist die Sterblichkeit beim akuten Herzinfarkt, bei der Koronaren Herzkrankheit und bei der Herzinsuffizienz im zweistelligen Prozentbereich zurückgegangen. Die Herz-Kreislaufforschung hat ganz wesentlich zu diesen Erfolgen beigetragen. Wir können heute Patienten behandeln, bei denen wir noch vor einigen Jahren nicht an invasive Diagnostik, geschweige denn an aufwendige interventionelle Therapien, hätten denken können. Eine enge Verzahnung zwischen wissenschaftlicher Arbeit und der Patientenbehandlung erscheint hier besonders bedeutsam. Dabei hat der Fortschritt in der Kardiologie auch zu einer neuen Zusammenarbeit mit der Herz- und Gefäßchirurgie geführt: Diese Bereiche sind in den letzten Jahren aufgrund der Behandlungsmöglichkeiten enger zusammengerückt – zum Wohle der Patienten. In unserem Westdeutschen Herzzentrum Aachen verbinden wir an der Uniklinik die Expertise fünf verschiedener Kliniken und Fachbereiche zu einem interdisziplinären Zentrum. Der Leitgedanke des Zentrums ist der eines „Herz-Teams“: Bereits im Vorfeld besprechen und wählen wir die für den individuellen Patienten optimale Behandlungsmethode gemeinsam aus. Im Hybrid-OP begegnen wir uns dann auch an derselben Arbeitsstätte, um die Patienten dort gemeinsam zu behandeln.
Prof. Marx: Da wären zunächst die Fragen der Krankheitsentstehung zu nennen: Herzschwäche, Herzinfarkt und Schlaganfall sind immer noch die häufigste Folge von Diabetes mellitus. Uns muss also vor allem interessieren, in welche Risikokategorien Menschen mit Diabetes nach aktuellen Leitlinien eingeteilt werden sollten und was die klinische, aber auch die grundlagenwissenschaftliche Forschung leisten muss, um künftig maßgeschneiderte Therapiestrategien zu entwickeln. Für die Entwicklung zukünftiger Therapien verwenden wir einerseits Clusteranalysen großer klinischer Studien und Kohorten zur Identifizierung neuer prognostischer Möglichkeiten und untersuchen andererseits in experimentellen Modellen molekulare Mechanismen der Krankheitsentstehung. Mit derartigen translationalen Ansätzen sollen Erkenntnisse, die wir am Patienten gewinnen, ins Labor getragen werden, um hier molekular aufgearbeitet zu werden. Idealerweise führen diese Grundlagenarbeiten zu neuen Diagnose- und Therapiestrategien, die dann wieder den Weg zurück zum Patienten finden. Weiterhin arbeiten wir daran, die Wirksamkeit und Anwendungsfelder der auf Diagnostik und Therapie mittels Herzkatheter spezialisierten interventionellen Kardiologie zu erforschen und zu verbessern – beispielsweise der Mitralklappeninsuffizienz, also der „Undichtigkeit“ der Mitralklappe, einer häufigen Herzerkrankung. Davon profitiert auch der Patient unmittelbar. Und schließlich nimmt die Forschung in den letzten Jahren das Wechselspiel einiger Organe in den engeren Fokus. Wir wollen unter anderem das Zusammenspiel zwischen der Niere und dem Herzen noch genauer verstehen.
Prof. Marx: Der technologische Fortschritt und aktuelle Veränderungsprozesse wie die voranschreitende Digitalisierung oder der Einsatz Künstlicher Intelligenz werden unsere Arbeit als Mediziner in den nächsten Jahren massiv verändern. Das gilt sowohl für die Krankheitsprognose als auch für Diagnostik und Therapie: Interventionen an der Mitralklappe schreiten aufgrund der technischen Verbesserungen durch die Miniaturisierung der Instrumente und eine verbesserte intra-prozedurale Bildgebung (4D-Echo) rasant voran. Es ist absehbar, dass weitere Verfahren – Reshaping dilatierter Ventrikel, kathetergestützte Anlage von Mitralklappen-Chordae – das therapeutische Rüstzeug für unsere Patienten deutlich erweitern werden. Zudem hat die Telemedizin großes Potenzial, insbesondere durch die kontinuierliche Erfassung kardialer Leistungsparameter unter häuslichen Bedingungen, die eine optimierte Therapiesteuerung ermöglicht. Und schließlich interessieren wir uns für die Wirkung elektromagnetischer Strahlung auf elektronische Implantate. Das wird vor allem beim Breiteneinsatz von E-Autos in ein paar Jahren eine dringliche Frage.