Von der Idee bis zu einem neuen Arzneimittel gegen Krebs ist es ein langer Weg. Am Anfang steht eine neue Substanz: Meist ein einziges Molekül, das eine Informationskette in der betroffenen Krebszelle durchbricht, die Bildung eines Proteins stoppt oder anregt – das Ganze mit dem simplen Ziel, den durch die Krebserkrankung entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Von rund 10.000 dieser Moleküle oder Substanzen, die Wissenschaftler untersuchen, um eine Substanz zu finden, aus der ein neues Arzneimittel entstehen kann, bleibt am Ende durchschnittlich eine Substanz übrig, die als neues Medikament zugelassen wird. Der Rest scheitert an den strengen Tests, die ein Medikament auf dem Weg von der Entwicklung im Labor bis zur klinischen Zulassung durchlaufen muss. Geprüft werden dabei zum Beispiel Stoffe aus Pflanzen, Mikroorganismen oder tierischem Gewebe, aber auch vollkommen neu entwickelte Substanzen.
Hat man eine vielversprechende Substanz oder Substanzgruppe gefunden, durchläuft sie ein vorklinisches Entwicklungsprogramm. Initial wird der vermutete Wirkmechanismus im Detail überprüft, um nicht nur die genaue Wirkung zu verstehen, sondern um vielmehr auch mögliche Nebenwirkungen frühestmöglich vorherzusagen bzw. vermeiden zu können. Darüber hinaus werden Analogien zu bereits existierenden Wirkstoffen analysiert und gründlich untersucht, ob die Substanz auch bei langfristiger Einnahme verspricht, gut verträglich zu sein, und um möglichst weitgehend auszuschließen, dass Spätnebenwirkungen entstehen oder die Substanz in der Lage ist, genetische Veränderungen oder gar Krebs auszulösen. „Für diese Tests wird die Substanz an Zellkulturen, im Reagenzglas und später auch an Tieren getestet“, erklärt Dr. med. Susanne Isfort, koordinierende Geschäftsführerin des Centers for Translational & Clinical Research (CTC-A) an der Aachener Uniklinik. „Die Auflagen hierbei sind sehr hoch. Ein Stoff muss alle vorgeschriebenen vorklinischen Versuche im Reagenzglas und im Tierexperiment bestehen, weiterhin als unbedenklich gelten und ein großes Potential auf eine Wirkung gegen eine Krebserkrankung aufweisen. Nur dann darf er schließlich auch bei Menschen im Rahmen von klinischen Studien angewandt werden.“
An der Uniklinik RWTH Aachen werden pro Jahr rund 200 neue Studien initiiert, einige davon auch mit vollständig neuen Arzneimitteln. Bevor eine klinische Studie stattfinden darf, muss sie von der zuständigen Bundesoberbehörde und der Ethik-Kommission genehmigt werden. Je nach Substanz, die getestet werden soll, sind dafür das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder das Paul-Ehrlich-Institut zuständig.
„Während viele neue Arzneimittel initial an gesunden Probandinnen und Probanden getestet werden, sieht das bei Krebsmedikamenten selbstverständlich anders aus“, erklärt Dr. Isfort, die selbst Onkologin ist. „Normalerweise zielt die erste Anwendung eines neuen Medikamentes im Menschen auf die reine Überprüfung der Sicherheit ab. Da die meisten Krebsmedikamente aber von Beginn an bei Patienten getestet werden, müssen sie von Anfang an sowohl Sicherheit als auch eine gewisse Wirksamkeit beweisen. Man startet dabei mit einer sehr niedrigen Dosierung und steigert sie, wenn das Medikament gut vertragen wird.“ Die Sicherheit der Studienteilnehmer steht hierbei absolut im Vordergrund. Ein Patient in einer klinischen Studie, vor allem in den frühen Phasen, wird deutlich engmaschiger betreut, als wenn er eine Standardbehandlung erhält. Die Teilnahme ist freiwillig und kann jederzeit widerrufen werden. Außerdem wird jeder Patient über die bislang bekannten Nebenwirkungen und Risiken ausführlich aufgeklärt. Generell sind die Auflagen, die eine Studie erfüllen muss, sehr hoch. Zudem sichern viele Kontrollinstanzen die Qualität der Patientenbehandlung im Rahmen von Studie, zum Beispiel durch Inspektionen oder Audits der Behörden. Darüber hinaus müssen in regelmäßigen Abständen die Behörden und Ethik-Kommissionen in sogenannten Jahressicherheitsberichten über den Fortschritt der Studien informiert werden. Außerdem arbeiten die meisten klinischen Studien mit unabhängigen Expertengremien, den sogenannte Data Safety Monitoring Boards, die in regelmäßigen Abständen die Daten einer Studie bewerten und die Studie auch gegen den Willen eines Studienleiters bei Sicherheitsbedenken schließen können.
Die klinischen Studien vor der Zulassung eines Arzneimittels sind in mehrere Phasen unterteilt:
Phase I Studien: Meist Studien mit steigenden Dosen der Testsubstanz beginnend bei sehr niedrigen Dosen. Die Studiengröße liegt meist bei weniger als 100 Teilnehmern. Dabei will man herausfinden, ob sich der Stoff im Körper eines Menschen so verhält, wie es aus den Ergebnissen der präklinischen Prüfungen abgeleitet wurde. Der primäre Fokus solcher Studien liegt auf der Sicherheit sowie der Verträglichkeit einer Substanz.
Phase II Studien: Schließen meist zwischen 50 und 500 Patienten ein. Es wird nun zusätzlich untersucht, ob ein Mittel auch im Menschen die gewünschte Wirksamkeit entfaltet und eine Erkrankung erfolgreich bekämpfen kann. Zudem wird auch geprüft, ob das Mittel Nebenwirkungen verursacht. Diese müssen im Vergleich zu seinem Nutzen vertretbar sein. Schließlich wird auch die optimale Dosierung festgelegt. In manchen Phase II Studien wird zusätzlich die Machbarkeit einer Kombinationstherapie aus neuem Produkt und etabliertem Standard getestet.
Phase III Studien: Jetzt werden größere Patientengruppen getestet – bis zu mehreren tausend Patientinnen und Patienten pro Studie. Die Forscher wollen damit herausfinden, ob sich die Ergebnisse aus den vorangegangenen Studien auch auf eine große Gruppe unterschiedlicher Patientinnen und Patienten übertragen lassen. Durch die große Patientengruppe lassen sich außerdem weitere Aussagen zu Neben- und Wechselwirkungen des Mittels treffen. Zudem muss sich ein Medikament in dieser Phase meist gegen die etablierte Standardtherapie oder gegen ein Placebopräparat behaupten und beweisen, dass es entweder eine gleich gute Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit oder eine bessere Wirkung hat.
„Die systematische Durchführung streng qualitätsgesicherter klinischer Studien mit dem Ziel, einerseits neue, wirksame und gut verträgliche Krebstherapien selbst zu entwickeln, und andererseits andernorts entwickelte, vielversprechende neue Therapieprinzipien für unsere Patienten verfügbar zu machen, ist eine Kernaufgabe aller Kliniken an einem akademischen Krebszentrum wie dem Euregionalen omprehensive Cancer Center Aachen, ECCA“, sagt Univ.-Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf, Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation und Sprecher des Direktoriums des ECCA. „Das beinhaltet heute erfreulicherweise nicht nur klassische Chemotherapien, sondern ganz besonders auch neue molekular zielgerichtete Therapien, Immuntherapien und zellbasierte Krebstherapien.“
Center for Translational & Clinical Research (CTC-A)
Da die Anforderungen an klinische Studien gesetzlich reguliert werden und äußerst komplex und umfangreich sind, benötigen sie eine zeitintensive administrative und koordinative Bearbeitung. An der Uniklinik RWTH Aachen unterstützt das Center for Translational & Clinical Research (CTC-A) unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen, die interdisziplinären und multiprofessionellen Projektteams. Es dient ihnen für ihre eigeninitiierte Forschung als zentrale Anlaufstelle, übernimmt stellvertretend für die Fakultät die rechtliche Verantwortung und hält Kontakt zu den beteiligten Projektpartnern. Zudem ist das Zentrum Ansprechpartner für externe Stellen wie Ethik-Kommissionen, Behörden und Finanzierer. Ansprechparter ist Dr. med. Susanne Isfort als Koordinierende Geschäftsführerin des CTC-A.