In den letzten Jahren hat die medizinische Behandlung von Krebserkrankungen insbesondere bei bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems wie Leukämien und Lymphomen enorme Fortschritte gemacht. Vor allem das verbesserte Verständnis über die Entstehung dieser Erkrankungen sowie die Unterscheidung in unterschiedliche, über molekulare Zielstrukturen definierte Untergruppen und die damit verbundenen personalisierten Behandlungsmethoden haben bemerkenswerte Erfolge gebracht. Dennoch bleiben Blut- und Lymphdrüsenkrebs grundsätzlich in den meisten Fällen immer noch lebensbedrohliche Erkrankungen.
Die meisten Krebserkrankungen werden mit einer Operation, Chemotherapie und/oder Strahlentherapie sowie neuerdings auch mit sogenannten molekular zielgerichteten Medikamenten und Immuntherapeutika behandelt. Oftmals gelingt es jedoch nicht, den Krebs mit einer herkömmlichen Behandlung zu heilen. Bei einigen bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks und des lymphatischen Systems hat sich die Transplantation von Blutstammzellen, die aus Knochenmark oder Blut von Spendern gewonnen werden, seit vielen Jahren als zelluläre Therapie mit der größtmöglichen und oftmals einzigen Heilungschance erwiesen. Hierbei wird das erkrankte Knochenmark durch Stammzellen sowie das Immunsystem eines gesunden Spenders ersetzt. Seit der Errichtung der interdisziplinären Spezialstation für Stammzelltransplantation an der Uniklinik RWTH Aachen vor drei Jahren konnten die Ärzte bereits rund 18 Kinder und 80 Erwachsene erfolgreich transplantieren. „Die besonderen Strukturen der Station erweitern die Therapieoptionen von Patienten mit hämatologischen Erkrankungen in unserem Zentrum entscheidend“, so Priv.-Doz. Dr. med. Edgar Jost, Oberarzt an der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation (Med. Klinik IV) der Uniklinik RWTH Aachen.
Doch was, wenn die herkömmlichen Therapiemaßnahmen bei Schwerstkranken nicht (mehr) greifen? Ließe sich ihr Krebs mit eigenen, genetisch manipulierten Immunzellen besiegen?
Zelluläre Immuntherapie – der Beginn von etwas Großem
Eine neuartige Therapie mit Immuneffektorzellen, kurz „CAR-T-Zelltherapie“ genannt, rückt diese Vorstellung – zumindest für bestimmte Arten von Lymphdrüsenkrebs und Leukämien – in den Bereich des Möglichen. Seit 2017 ist diese völlig neuartige und revolutionäre zelluläre Immuntherapie in den USA zugelassen, und auch in Europa dürfte es bis zur Zulassung nicht mehr lange dauern. „Die Möglichkeit, körpereigene Zellen eines Patienten oder eines Spenders so umzuprogrammieren, dass sie einen tödlichen Tumor gezielt angreifen, läutet eine neue Ära in der Krebsbehandlung ein“, sagt Dr. Jost.
Dass sich das Immunsystem des eigenen Körpers dazu nutzen lässt, Krebs zu bekämpfen, hatte man schon lange vermutet. Auch das Potenzial der sogenannten CAR-T-Zellen ist seit Jahrzehnten bekannt, doch es zu erforschen und einen funktionierenden Therapieansatz zu entwickeln, stellte sich bis dahin als schwierig heraus. Aber für Krebsforscher und klinische Onkologen ist mittlerweile klar: „Die Neuausrichtung des Immunsystems ist eine hochwirksame Therapie gegen Krebs, die vor allem bei bestimmten Blutkrebsformen, allen schweren Nebenwirkungen zum Trotz, immensen Nutzen verspricht.“
Doch wie nutzt man gezielt das zerstörerische Potenzial der eigenen Abwehrzellen gegen Krebs?
Die meisten Krebszellen entwickeln im Laufe ihrer Entstehung eine Tarnung, die sie vor Erkennung und Angriffen des Immunsystems schützt. Die CAR-T-Zellen sollen dieses Problem überwinden. Dazu wird dem krebskranken Patienten Blut abgenommen. Die aus dem Blut gefilterten Abwehrzellen, die sogenannten T-Zellen, werden im Labor gentechnisch verändert. Es wird ein Gen eingepflanzt, womit die Zellen auf der Oberfläche eine Art Antenne oder Angelhaken, einen chimären Antigenrezeptor (CAR), zur Erkennung von Krebszellen bilden. „Damit ,angeln´ die CAR-T-Zellen nicht nur nach Krebszellen, sondern vernichten sie auch zugleich“, erklärt Onkologe Dr. Jost. Diese genveränderten Zellen werden im Labor vermehrt und dem Patienten einfach über die Blutbahn zurückgeführt. Die modifizierten Immunzellen beginnen sofort damit, die Krebszellen im Köper aufzuspüren und anzugreifen.
Die ersten klinischen Studien wurden in den vergangenen Jahren vornehmlich bei bösartigen hämatologischen Erkrankungen wie der Akuten Lymphatischen Leukämie durchgeführt, da die Zellen hier am leichtesten von den Abwehrzellen angegriffen werden können. Demzufolge sind es bisher vor allem schwerstkranke Kinder mit Leukämien und Lymphomen in einem fast hoffnungslosen Zustand, die mithilfe der neuen Form der zellulären Immuntherapien auf Jahre frei von Krebs bleiben können. Bei einem Teil kehrte die Erkrankung allerdings nach einiger Zeit wieder zurück. „Auch wenn das Konzept der CART-Zellen momentan das potenteste Therapieprinzip sein mag und als Durchbruch gefeiert wird, darf man nicht die möglichen lebensbedrohlichen Nebenwirkungen außer Acht lassen“, fügt Univ.-Prof. Dr. med. Udo Kontny, Leiter der Sektion Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, hinzu. Das Immunsystem reagiert oftmals so stark, dass sich die Reaktion als starke Entzündungsreaktion im ganzen Körper ausbreitet.
Das Problem: Der Anker auf den CAR-T-Zellen kann sich nicht nur an Krebszellen, sondern auch an gesunde Zellen mit denselben Erkennungsstrukturen binden. „Gehen gesunde B-Zellen, die zu den weißen Blutkörperchen gehören und als einzige Antikörper bilden können, verloren, fehlt dem Körper eine wichtige Abwehrmaßnahme“, so Dr. Jost. Aufgabe der Forscher ist es nun, die hochwirksame zelluläre Therapie zielgenauer zu machen, damit sie wirksam bleibt, aber die Nebenwirkungen steuerbar sind und damit noch mehr Patienten helfen kann. Auch andere Arten von Krebs wie Tumoren in Brust, Eierstöcken, Lunge oder Bauchspeicheldrüse will man versuchen, zukünftig mithilfe der aufgerüsteten Immunzellen zu heilen.
„Ab dem Zeitpunkt einer Zulassung und Anwendung in Europa werden wir die Infrastruktur vorhalten, damit diese neue Therapieform auch unseren Patienten in Aachen schnellstmöglich zur Verfügung gestellt werden kann“, so Onkologe Prof. Kontny.
Bald schon könnten die CAR-T-Zell-Therapie und weitere sogenannte zelluläre Immuntherapeutika auch in Europa zugelassen sein.
„Trotz der immensen Kosten, die solch eine Therapie mit sich bringt, könnten jährlich einige Tausend schwerkranke Menschen in Europa, für die keine anderen Behandlungsmöglichkeiten mehr bestehen, davon profitieren“
, zeigen sich die beiden Experten hoffnungsfroh.