KAMPF DER GIGANTEN
Der menschliche Körper ist ein Schlachtfeld. Jeden Tag werden auf und in ihm Abermillionen kleinster Kämpfe ausgetragen. Sozusagen ein „Battle“ der Mikrogiganten um Leben und Tod. Von den meisten bekommen wir glücklicherweise nichts mit.
Nicht jede Zelle ist gleich. Wie im wahren Leben auch, gibt es unter den Zellen Eliten, die herausstechen und besondere Fähigkeiten besitzen. Was bei gesunden Zellen bereits lange Gewissheit ist, gilt bei den Tumorzellen noch als Hypothese. Doch immer mehr deutet darauf hin, dass auch ein maligner Tumor keine einheitliche Ansammlung mutierter Zellen ist, sondern ein Gewebe, in dem eine klare Zellhierarchie besteht, an deren Spitze die Krebsstammzellen stehen. Von ihnen soll es nur vergleichsweise wenige geben – diese haben es allerdings in sich und sind im Prinzip der Motor des Tumors.
Dr. rer. nat. Jochen Maurer forscht seit vielen Jahren zu Krebsstammzellen. Der Leiter der Molekularen Gynäkologie in der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen ist sich sicher, dass es die Krebsstammzellen gibt, und dass in der Identifikation dieser Zellen ein großes Potenzial für die Behandlung von Krebs steckt. Seine Forschungen konzentrieren sich auf Brust- und Eierstockkrebs, doch Dr. Maurer glaubt, dass das Grundprinzip bei vielen Tumorarten gleich sein könnte. „Wir haben eine Methode entwickelt, die Stammzellen im Tumor zu isolieren und außerhalb des Körpers zu kultivieren“, erklärt der Biologe. „In der Petrischale lassen sich diese Krebsstammzellen vermehren und wenn man diese dann in ein Tiermodell überträgt, bildet sich dort quasi eine Kopie des Patienten-Tumors.“
Damit hätten die Zellen das Hauptkriterium einer Stammzelle erfüllt. Da Stammzellen besondere Eigenschaften besitzen, ließe sich damit auch erklären, weshalb bösartige Tumore ein manchmal unbändiges Wachstum aufweisen und warum sie sich selbst gegenüber einer radikalen Behandlung mit einer Chemo- oder Radiotherapie als resistent erweisen können. Zudem würde verständlicher, wieso sie in der Lage sind, Rezidive (Neubildungen) zu bilden und weshalb sie sich in Form von Metastasen an völlig anderen Stellen des Organismus wieder ansiedeln können.
Dr. Maurer und sein Team gehen bei der Erforschung der Zellen vielen Fragen nach: Was treibt die Zelle an, aggressiv zu wachsen? Hängen ihre Position im Körper, ihre Nähe zu Blutgefäßen, auftretende Entzündungen oder andere Faktoren damit zusammen? „Wir wollen verstehen, was diese Zellen sind und natürlich, wie wir sie bekämpfen können“, sagt der Forscher. In Zukunft, so hofft er, könnte man Krebspatientinnen einen Tumor entnehmen und anhand der Krebsstammzellen in der Petrischale testen, welche Medikamente gut und welche weniger gut wirken.
Darüber hinaus erlauben diese Zellen die Testung neuer Therapeutika in viel größerem Maßstab als beispielsweise in einer Patientenstudie. Dr. Maurer und sein Team konnten so mit Kollaborationspartnern in der Uniklinik Freiburg einen neuartigen Inhibitor für Triple-negativen Brustkrebs, eine besonders aggressive und schwer zu therapierende Unterart von Brustkrebs, identifizieren und seine Wirkung bestätigen.
Im Detail sind diese Forschungen sehr schwierig. Sie kosten viel Zeit und Geld und die Wissenschaftler benötigen große Mengen Tumormaterial, was nur in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden gynäkologischen Onkologen und Brustkrebsspezialisten sowie dem Klinikpersonal möglich ist. Doch Dr. Maurer brennt für sein Thema und ist zuversichtlich, dass die Krebsstammzellen der Schlüssel für die Krebstherapie der Zukunft sein könnten. „Hier an der Uniklinik Aachen haben wir beste Möglichkeiten und der Kontakt zu den Klinikern ist hervorragend –gute Voraussetzungen für erfolgreiche Forschung“, sagt er.