Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Lunge erfordern aufwendige Behandlungsmethoden, sind oft nicht langfristig heilbar und zählen zu den häufigsten Todesursachen. Bisherige Ansätze verfolgen in der Regel den Einsatz von körperfremden Materialien, die allerdings nur eine kurzfristige Linderung verschaffen oder zu Komplikationen wie Thrombosen führen können. Um eine durch das Immunsystem verursachte Abstoßung zu verhindern, ist häufig eine lebenslange Medikation notwendig. Schließlich handelt es sich um einen Fremdkörper, der in den Körper eingebracht wird, um Gefäße zu weiten oder den Herzschlag zu kontrollieren. Im Cluster Biomedizintechnik arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Entwicklung von „lebenden“ Implantaten, die die Funktion des erkrankten Gewebes übernehmen und gleichzeitig vom Körper nicht als Fremdkörper erkannt werden.
Biohybride Implantate: Zelle trifft Textil
Die Entwicklung lebender Implantate zeichnet sich durch die Kombination von künstlichen Materialien mit natürlichen, biologischen Komponenten aus, Biohybride Implantate genannt. Der Anspruch an das Material für Gefäßprothesen, Herzklappen und Stents liegt in der mechanischen Stabilität der Kunststoffe oder Metalle. Die Biologisierung der künstlichen Materialien erfolgt nach folgendem Prinzip: Durch Entnahme von gesundem Patientengewebe werden lebendige Zellen gewonnen, die die Aufgaben und Funktionen des erkrankten Gewebes später übernehmen. Durch Einbettung der Zellen in ein körpereigenes Gel (Fibrin oder Elastin) oder die direkte Besiedlung der Zellen auf der Stützstruktur werden die Komponenten vereint. Die Zellen sollen eine möglichst bekannte Umgebung vorfinden, in der sie sich wohlfühlen und ihre Funktion wie gewohnt aufnehmen. Daher kommen neben dem Fibrin-Gel auch wasserbasierte künstlich hergestellte Gele, auch Hydrogele genannt, zum Einsatz, die eine schützende Kapsel um die Zellen bilden. Das Implantat kann nun mechanischen oder biochemischen Reizen ausgesetzt werden, um die Zellfunktion weiter anzuregen. Diese Konditionierung kann mit einem „Fitnessstudio für Zellen“ verglichen werden: Die Zellen werden auf ihren Einsatz vorbereitet, sodass sie später ihre Aufgaben im Körper der Patientin beziehungsweise des Patienten optimal erfüllen können. Das Institut für Angewandte Medizintechnik hat gemeinsam mit dem Institut für Textiltechnik (ITA) und dem DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien drei biohybride Implantate entwickelt.
Gefäßprothese „StemGraft“
Blutgefäßverengungen, Stenosen genannt, entstehen durch Ablagerungen an der Gefäßwand, die den gleichmäßigen Blutfluss stören und im schlimmsten Fall zum Verschluss des Gefäßes führen. Dadurch können Regionen des Körpers nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden, was zu erheblichen Gewebeschäden führen kann. Besonders kritisch ist dies beim Herzen (Herzinfarkt) oder dem Gehirn (Schlaganfall). Eine Erweiterung der Gefäße durch einen Stent ist eine etablierte Behandlungsmethode. Allerdings kann es aufgrund des mechanischen Reizes durch das Stentmaterial dazu kommen, dass neues Gewebe entsteht, das durch die Maschen des Stents wachsen und wieder zu einer Verengung führen kann. Daher liegt der Fokus auf der Entwicklung einer Gefäßprothese, die den verengten oder gar verstopften Gefäßabschnitt ersetzt. Entwickelt wurde der „StemGraft“, hier werden patienteneigene Stammzellen und ein künstliches Stützgerüst kombiniert. Nach einer kurzen Konditionierungszeit von nur vier Tagen ist er einsatzbereit. Die Konditionierung verläuft in einem eigens hergestellten Bioreaktorsystem, welches das Implantat kontinuierlich mit Nährflüssigkeit (Medium) durchspült, sodass die eingebrachten Zellen mit allen Nährstoffen versorgt werden. Der Mediumfluss erfüllt noch eine weitere Funktion: Durch eine gezielte Steigerung der Flussgeschwindigkeit, mit der das Medium die Gefäßprothese durchströmt, werden die Zellen an den Blutfluss, der im Körper herrscht, gewöhnt und widerstandsfähiger gegenüber Beschädigungen. Dieser vielversprechende Weg zur Herstellung einer langzeitstabilen und bioverträglichen Gefäßprothese steht kurz vor der klinischen Testung. Eine optimale Funktion im Patienten kann nur gewährleistet werden, wenn die Gefäßprothesen während ihrer Herstellung einer ständigen Qualitätskontrolle bezüglich Aufbau und Funktion unterzogen werden.
Herzklappe
Das Herz ist ein komplexes Hohlorgan, welches ähnlich wie eine Pumpe Blut durch den Körper fördert, um die Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Aber nicht nur der Aspekt der Versorgung ist wichtig, auch hat das Herz eine emotionale Bedeutung für den Menschen. Sind wir aufgeregt, spüren wir, wie das Herz schneller schlägt; geht es uns schlecht, empfinden wir den bekannten „Herzschmerz“. Das Herz spielt eine zentrale Rolle, weshalb es umso wichtiger ist, dass es einwandfrei funktioniert. Viele Menschen leiden an Erkrankungen des Herzens und den in Verbindung stehenden Gefäßen. So ist eine defekte Herzklappe eine häufige Krankheitsursache. Ein gesundes Herz verfügt über zwei Hälften, die jeweils in einen Vorhof und eine dazugehörige Kammer unterteilt sind. Das Blut kann zwischen diesen vier Herzräumen nur in eine Richtung fließen, was durch Herzklappen gewährleistet wird. Sie funktionieren wie Ventile, die ein Zurückfließen verhindern. Ist nun eine der Herzklappen nicht mehr intakt, kommt es zu einem Rückfluss des Blutes. Problematiken wie Luftnot oder eine verstärkte Belastung der Herzräume sind keine Seltenheit. Andererseits kann es auch zu einer so starken Verkalkung der Herzklappen kommen, was dazu führt, dass sich diese nur noch unzureichend öffnen. Nun muss das Herz deutlich mehr arbeiten, um das Blut noch in ausreichender Menge in den Kreislauf zu pumpen. Dies führt am Ende zu einer dauerhaften Schädigung des Herzmuskels. Als Ersatz dienen heute künstliche Herzklappen, die entweder eine lebenslange Blutverdünnung erfordern oder zur Verkalkung neigen, was letztendlich einen erneuten Austausch erfordert. Angestrebt wird daher die biohybride Herzklappenprothese als eine biokompatible und langzeitstabile Alternative. Durch das Einbringen einer textilen Stützstruktur, Mesh genannt, können die patienteneigenen Zellen im Fibrin-Gel mit dem Textil hybridisiert werden. Im Vergleich zu der Gefäßprothese werden die Zellen hier deutlich länger trainiert, etwa 21 Tage. Da die Reifung der Herzklappe langwieriger ist, besteht umso mehr die Notwendigkeit, alle Konditionierungsparameter sorgfältig zu bestimmen und den Herstellprozess so zu steuern, dass ein optimales und individuelles Implantat daraus resultiert. Dies ist Aufgabe des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Verbundvorhabens „Auf dem Weg zu einer modellbasierten Regelung der biohybriden Implantatreifung“ (PAK 961).
Atemwegsstent „PulmoStent“
Bei Atemwegserkrankungen wie Luftröhrenoder Lungenkrebs sowie Verengungen der Bronchien durch andere Hindernisse erleben jährlich Tausende Menschen einen erheblichen Leidensdruck. Symptome wie Kurzatmigkeit, Heiserkeit und starker Husten durch verringerten Schleimabtransport führen zu massiven Beeinträchtigungen, die sich zu einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung entwickeln können. Im Rahmen des EU-Projekts PulmoStent wurde daher ein biohybrider Atemwegsstent entwickelt. Die biohybride Plattformtechnologie vereinigt einen spezifischen Metallstent mit dem lebenden Gewebe des Patienten. Die „Biologisierung“ der Stentinnenseite ist hier das Besondere. Die aufgebrachte Zellschicht, respiratorisches Epithel genannt, zeichnet sich durch die Ausbildung von kleinsten Flimmerhärchen auf der Oberfläche aus, welche dafür sorgen, dass der Schleim aus der Lunge in Richtung Mund abtransportiert wird. Die Stützstruktur, die dem Implantat die nötige Stabilität verleiht, besteht aus einer geflochtenen, metallischen Stentstruktur, welche wiederum in eine Kunststoffschicht eingebettet ist. Durch diese dichte, mehrlagige Struktur soll ein erneutes Einwachsen von Gewebe verhindert werden. Erste Studien haben bereits gezeigt, dass der PulmoStent das Potenzial hat, einen Platz als innovative Behandlungsmethode einzunehmen. Unter Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) liegt daher der Fokus der Arbeiten auf der Qualitätssicherung bei der Herstellung und der Validierung als Vorbereitung für eine erste klinische Erprobung.
Biohybride Implantate haben ein hohes Potenzial, die Defizite von aktuellen Implantaten zu eliminieren. Hierzu müssen die künstlichen Stützgerüste noch gezielter auf die Verbindung mit Zellen und vitalem Gewebe vorbereitet werden. Dies kann durch eine weitere Biofunktionalisierung der künstlichen Oberflächen erfolgen, sodass diese eine optimale Ansiedelung und Funktion der körpereigenen Zelle erlauben. Durch die Steigerung der Zellattraktivität der künstlichen Oberflächen besteht die Perspektive, das Implantat zellfrei zu implantieren, was die Herstellung und die Qualitätssicherung erheblich erleichtern würde. So könnte der menschliche Körper als Bioreaktor fungieren, indem eine schnelle Besiedelung des Implantats mit körpereigenen Zellen stimuliert wird.
Die Forschungsarbeiten zu biohybriden Implantaten sind interdisziplinär und finden im Center for Biohybrid Medical Systems, kurz CBMS, statt. Beteiligt sind beispielsweise das Institut für Textiltechnik ITA, das Werkzeugmaschinenlabor WZL, das Institut für Regelungstechnik IRT und das Institut für Technische und Makromolekulare Chemie/DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien.
Quellennachweise und Autorenlisten finden Sie im Forschungsmagazin RWTH THEMEN.