Wer an Diabetes leidet, muss sich oft gleichzeitig mit unterschiedlichen Komplikationen herumschlagen. Besonders die Herzen von Diabetikern sind dabei gefährdet. Eine alleinige medikamentöse Blutzuckersenkung konnte dieses Risiko bisher nicht ausreichend senken. Doch einige neuere Diabetes-Medikamente haben, als willkommenen Nebeneffekt, nachweislich einen positiven Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko. Warum das so ist, war lange unklar. Aachener Forscher kommen mit sogenannten Metabolom-Analysen dem Rätsel auf die Spur.
Fast sieben Millionen Menschen sind in Deutschland an Diabetes erkrankt. Hinzu kommen die etwa zwei Millionen, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen – der häufigste Diabetes-Typ, Typ 2, zeigt oftmals keine Symptome und bleibt deswegen oft über viele Jahre unentdeckt. Somit ist jeder zehnte Bundesbürger betroffen. Das Problem bei der Volkskrankheit ist nicht nur die Erkrankung selbst, oft wird auch das Herz in Mitleidenschaft gezogen. Diabetes ist eine der Hauptursachen für Herzerkrankungen wie Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz, die chronische Herzschwäche. Sie führt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und der Lebenserwartung. Besonders häufig sind Typ-2-Diabetiker betroffen. Der sogenannte Altersdiabetes betrifft aber längst nicht mehr nur ältere Menschen. Übergewicht (Adipositas) führt dazu, dass Diabetes Typ 2 schon im Teenageralter oder bei jungen Erwachsenen auftritt.
Diesen Patienten zu helfen und die Verknüpfung von Herz und Diabetes besser zu verstehen, stellt einen Schwerpunkt der Forschung innerhalb der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin (Medizinische Klinik I) an der Uniklinik RWTH Aachen dar. Verschiedene experimentell und translational arbeitende Gruppen rund um Klinikdirektor Univ.-Prof. Dr. med. Nikolaus Marx befassen sich seit Jahren unter dem Titel „Der vulnerable Patient mit Diabetes mellitus“ mit dem Thema Herz und Diabetes. Dabei werden zum Teil höchst innovative Forschungsansätze verfolgt – zum Beispiel mit den „Metabolomics im kardiovaskulären System“.
Das Metabolom im Fokus
Dr. Dr. med. Ben Kappel ist Assistenzarzt in der Medizinischen Klinik I und Arbeitsgruppenleiter dieses Forschungsbereichs. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit Prof. Dr. med. Michael Lehrke, dessen Arbeitsgruppe sich intensiv mit den molekularen Zusammenhängen zwischen Herz und Diabetes beschäftigt. Ausgehend von der Frage, warum einige antidiabetische Medikamente nicht nur den Blutzucker senken, sondern sich zugleich positiv auf eine Herzschwäche auswirken, versprechen sich die Forscher durch den Metabolomics-Ansatz Antworten. Mit Erfolg: „Bereits vor zwei Jahren konnten wir für das Medikament Empagliflozin, einen sogenannten SGLT2-Hemmer, einen potenziellen Wirkungsansatz nachweisen, der für die kardioprotektive Wirkung von SGLT2-Inhibitoren verantwortlich sein könnte“, erläutert Dr. Kappel. Bis dato war nicht hinreichend untersucht worden, warum das Medikament die kardiovaskulären Todesfälle um 30 bis 40 Prozent senkt – das hatten große Studien gezeigt. Seine wegweisenden Erkenntnisse brachten dem 33-Jährigen 2018 den Forschungspreis der Arbeitsgruppe Herz und Diabetes der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ein.
Bei Metabolomics liegt der Fokus auf Analysen des Metaboloms. Das Metabolom, abgeleitet von Metabolismus (= Stoffwechsel), umfasst die Gesamtheit aller kleinen Stoffwechselprodukte, sogenannter Metabolite, im Blut, Urin oder einem Gewebe. „Die Analyse des Metaboloms ermöglicht, die Stoffwechselwege in der Gesamtheit zu analysieren, zum Beispiel bei der Entstehung einer Erkrankung, um so neue Hypothesen zu generieren. Es werden also nicht ein Endprodukt, sondern vor allem die Zwischenschritte beleuchtet“, erklärt Dr. Kappel. Sein Team arbeitet dabei grundsätzlich ergebnisoffen. Sie betrachten alle Metabolite, suchen nach Auffälligkeiten und gehen diesen nach. „Für die SGLT2-Hemmer konnten wir zeigen, dass sie maßgeblich die Energiegewinnung im Organismus modulieren. Die Wirkstoffe beeinflussen insbesondere den verzweigtkettigen Aminosäurenstoffwechsel, der eine wichtige Rolle bei der Herzinsuffizienz spielt“, so der Kardiologe. Die Arbeit hat einen völlig neuen potenziellen Wirkungsansatz von SGLT2-Inhibitoren aufgedeckt – und damit die Grundlage für weitere experimentelle Arbeiten gebildet.
Diabetes, das Herz und die Darmflora
Ihre Ergebnisse bestärken die Aachener Forscher, den Metabolomics-Ansatz weiter zu verfolgen. So ist aktuell eine klinische Anschlussstudie in Planung, die die metabolischen Eigenschaften von dem Inkretinmimetikum Liraglutid, einem Antidiabetikum mit einem anderen Wirkmechanismus, untersuchen soll. Auch dieses relativ neue Medikament konnte unabhängig von seiner blutzuckersenkenden Wirkung kardiovaskuläre Todesfälle verhindern. Die positiven Effekte im kardiovaskulären System sind hier jedoch ebenfalls noch nicht hinreichend verstanden.
Liraglutid ahmt im Körper die Wirkung des Darmhormons GLP-1 nach, das die Ausschüttung von Insulin steigert und damit den Blutzucker senkt. So liegt neben der Erforschung des Darmhormonstoffwechsels ein weiterer Schwerpunkt von Dr. Kappel und Prof. Lehrke in der Erforschung der Darmbakterienflora. Sie könnte neues Licht auf die Verbindung zwischen Herz und Diabetes werfen.
Viele Jahre wurde den Darmbakterien wenig Beachtung geschenkt, die Forschung des letzten Jahrzehnts hat diese Sichtweise jedoch grundlegend geändert. „Das Darmmikrobiom könnte eine wichtige Rolle bei kardiometabolischen Erkrankungen spielen. Es ist nachgewiesen, dass die Darmflora einen wichtigen Beitrag zum Stoffwechsel leistet, schließlich überschreitet die Anzahl der Bakterien im Darm eines Individuums die Anzahl eigener Zellen um ein Vielfaches“, erklärt Dr. Kappel. „Ein Ungleichgewicht in der Darmflora wurde bereits mit Insulinresistenz, Diabetes mellitus und kardiovaskulären Erkrankungen wie einer Herzinsuffizienz in Verbindung gebracht.“ Das eröffnet zahlreiche Fragen zur Verbindung von Herz und Diabetes in Zusammenhang mit der Darmflora. In Aachen bleiben die Forscher dem Rätsel auf der Spur. Wenn sie erfolgreich sind, könnten aus den Arbeiten künftig neue Therapiekonzepte für Patienten mit Typ-2-Diabetes und Herzinsuffizienz abgeleitet werden.