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Translationale Essstörungsforschung

von Uniklinik RWTH Aachen14. November 2021 in Psychosoziale Medizin,
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Magersucht ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Jugendalters und gilt als eine schwere und ernsthafte psychosomatische Erkrankung, der keine einfache Ursache zugeschrieben werden kann. Pubertätsmagersucht, in der Fachsprache auch Anorexia nervosa (AN) genannt, hat die höchste Sterblichkeitsrate aller psychischen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ordnet die Erkrankung den vier wichtigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen mit „lebenslangen Konsequenzen“ zu. Die Erkrankung betrifft vor allem das weibliche Geschlecht. Etwa 90 bis 95 Prozent der an Anorexia nervosa Erkrankten sind Mädchen.

Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Seitz ist Oberarzt und arbeitet seit 2008 als Kinder- und Jugendpsychiater an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Uniklinik RWTH Aachen. Seit 2010 leitet er eine eigene Arbeitsgruppe „Translationale Essstörungsforschung“ und ist Koordinator für Neuroimaging/Essstörungsforschung an der Klinik. Gemeinsam mit Klinikdirektorin Univ.-Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann haben Dr. Seitz und sein Team im Rahmen einer großen Longitudinalstudie (Langzeitstudie) die strukturellen und funktionalen Gehirnveränderungen bei Patientinnen mit Anorexia nervosa näher untersucht.


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Hintergrund

Bei Patientinnen mit AN lässt sich eine Reduktion der grauen und weißen Hirnsubstanz beobachten. Die zugrunde liegende Pathophysiologie (Ursache, Entstehung und Entwicklung/Verlauf) dieser Gehirnvolumenabnahme war bis dato ungeklärt. „Das war der zentrale Ausgangspunkt unserer Forschung. Im Verlauf unserer Arbeit wurden auch die Darm-Bakterien (Mikrobiom) mit ihren Auswirkungen auf die Darm-Gehirn-Achse (Gut-Brain Axis) als mögliche Einflussgröße immer relevanter“, erklärt Dr. Seitz. Bereits seit 2015 widmet er sich dem Wechselspiel zwischen Darm-Bakterien, Energieaufnahme, Entzündung und dem Gehirn (Darm-Gehirn-Achse) bei Patientinnen mit Essstörungen.

Um mehr zu Ursache und Konsequenzen des Gehirnvolumenverlustes im klinischen Kontext herauszufinden, hat das Forschungsteam longitudinale MRT-Aufnahmen vom Gehirn von Patientinnen mit Anorexia nervosa durchgeführt. „Um mögliche Interventionen testen zu können, haben wir das Activity Based Anorexia-Tiermodell aufgebaut. Aktuell führen wir des Weiteren zwei große longitudinale Studien und weitere Tierstudien zum Darm-Mikrobiom durch, einige davon im Rahmen eines europäischen Konsortiums (ERA-NET Neuron), das von uns auch koordiniert wird“, so der Arbeitsgruppenleiter. Die Arbeit am Tiermodell wird in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Neuroanatomie (Direktor: Univ.-Prof. Cordian Beyer), dem Institut für Versuchstierkunde (Direktor: Univ.-Prof. Rene Tolba), dem Institut für Experimentelle Molekulare Bildgebung (Direktor: Univ.-Prof. Fabian Kiessling) und der AG Funktionelles Mikrobiom des Institutes für Mikrobiologie (Direktor: Prof. Thomas Clavel) durchgeführt.


© VectorMine – stock.adobe.com

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Funktionelle und strukturelle Gehirnveränderungen pathophysiologisch verstehen

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit ist es Dr. Seitz gelungen, die zugrundeliegenden Ursachen näher zu erforschen. Mithilfe des Tiermodells konnte er einen Mangel an Astrozyten identifizierten, die die Neuronen im Gehirn normalerweise unterstützen. „Der deutliche Gehirnvolumenverlust ist vor allem durch den starken Gewichtsverlust bedingt – der Körper nimmt schlichtweg überall ab, und ist mit einer schlechteren Prognose nach 1 und 2,5 Jahren verbunden. Dafür funktioniert das Gehirn der Patientinnen am Anfang im Verhältnis noch ganz gut – hier gilt es allerdings langfristige Folgen zu vermeiden und eine schnelle Gewichtszunahme anzustreben, da sich das Gehirn bei Jugendlichen ja noch in der Entwicklung befindet“, erläutert der Wissenschaftler.

„Innerhalb der Mikrobiomforschung konnten wir klare Unterschiede zwischen Patientinnen mit AN und gesunden Probandinnen darstellen, die auch nach Gewichtszunahme bestehen blieben. Es sind also keine Artefakte, die nur durch weniges Essen oder weniges Gewicht zu Stande kommen“, so Dr. Seitz. Zu den genaueren Mechanismen forscht die Arbeitsgruppe aktuell weiter.
Diese wegweisenden Forschungsergebnisse tragen nicht nur zu einem besseren Verständnis von Essstörungen bei, auch die Behandlungen können dadurch optimiert werden. „Insbesondere bei den Darmbakterien könnte man möglicherweise mit Ernährungsempfehlungen, Nahrungssupplementen oder ‚guten‘ Bakterien (Probiotika) die Erkrankung positiv beeinflussen“, resümiert der Oberarzt. „Daher beforschen wir gerade, auch zusammen mit unseren internationalen Partnern, die Gabe von Omega-3 Fettsäuren und Probiotika.“ Sollten diese klinische Studien erfolgreich verlaufen, könnten diese Supplemente eine hilfreiche Ergänzung der bestehenden AN-Therapie darstellen und beispielsweise bei der Gewichtszunahme oder einer besseren Stimmung unterstützen. „Schnelle Gewichtszunahme wird aber immer der Hauptbestandteil der Therapie der Anorexia nervosa bleiben“, betont der Kinder- und Jugendpsychiater.

Vorreiter in der Behandlung von Essstörungen

Essstörungen wie Magersucht (Anorexia nervosa), Ess-Brechsucht (Bulimie) und das Auftreten von Essanfällen (Binge Eating Störung) sind häufige Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Aufgrund der mit Essstörungen, insbesondere der Magersucht einhergehenden, schwerwiegenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen ist eine schnelle, frühzeitige Behandlung dringend notwendig. Eine Anlaufstelle für Betroffene bietet die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik RWTH Aachen. Die Klinik vereint unter anderem eine spezialisierte Essstörungsstation mit innovativen „stepped-care“ Behandlungsformen. Bei dem sogenannten Step-down-Behandlungsansatz werden jugendliche Patientinnen und Patienten mit Gewichtsregulations- und Essstörungen nach spätestens acht Wochen aus der stationären Behandlung entlassen und in eine viermonatige stationsersetzende Behandlung zu Hause, auch Home Treatment genannt, überführt. Ein multiprofessionelles Team aus Psychologen, Ärzten, Fachtherapeuten, Mitarbeitern des Pflegedienstes und Ernährungsberatern behandelt die Patienten drei- bis viermal wöchentlich intensiv zu Hause zusammen mit ihren Eltern. „Diese patientenorientierte Behandlungsmethode zu Hause stellt nicht nur eine große Entlastung für die Kinder, sondern auch für ihre Angehörigen dar. Wir hoffen durch diese Therapieform auf weniger Rückfälle und eine bessere Integration der jungen Patienten in den Alltag“, betont der Experte.

Ausgezeichnete Forschung

Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der translationalen Essstörungsforschung, insbesondere zum Thema Gehirnvolumenveränderungen und Interaktion zwischen Darm-Mikrobiom und Gehirn bei Anorexia nervosa, wurde Dr. Seitz bereits mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt er den mit 30.000 Euro dotierten Christina Barz-Forschungspreis 2021. Quadrate_Satzende


 

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