In Münster fand vom 3. bis 6. Juni 2018 die 69. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) in Kooperation mit den mexikanischen und kolumbianischen Gesellschaften für Neurochirurgie statt.
Ziel der jährlichen Veranstaltung ist es, Teilnehmende aus der Wissenschaft, der Patientenversorgung, aber auch interessierten Nachwuchs zur Präsentation aktueller Forschungsergebnisse und zu deren Diskussion zusammen zu führen. An vier Tagen wurde ein umfangreiches Programm mit etwa 500 wissenschaftlichen Beiträgen, spannenden Keynote-Vorträgen von Experten, sowie mit neuesten Entwicklungen der Industrie geboten, an dem sich auch unsere Klinik mit einer größeren Anzahl von Beiträgen aus verschiedenen Bereichen der Neurochirurgie beteiligen konnte.
Dabei lag der Schwerpunkt der diesjährigen Veranstaltung auf der Wirbelsäulenchirurgie, die angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Interessante Ergebnisse hierzu wurden aus der Arbeitsgruppe unserer Klinik (Matthias Geiger, Dr. Christian Blume, Priv.-Doz. Christian Andreas Müller) insbesondere zur altersbedingten Einengung des Rückenmarks im Wirbelkanal (Spinalkanalstenose) präsentiert, die oftmals eine schwerwiegende Beeinträchtigung für betroffene Patienten darstellt.
Dr. Christian Blume und Priv.-Doz. Christian Andreas Müller beschäftigten sich mit den Auswirkungen dieser Erkrankung auf die Funktionsfähigkeit der Leitungsbahnen. Dabei konnten sie eine gestörte Integrität des Rückenmarks sowie eine Veränderung des Stoffwechsels in übergeordneten Zentren feststellen.
Bisher unklar war auch, inwiefern die Lokalisation einer solchen Einengung oder eines Bandscheibenvorfalls Einfluss auf die Schmerzsymptomatik und die Einschränkung der täglichen Aktivitäten hat. Matthias Geiger präsentierte zu diesem Thema eine Erhebung, wonach die befragten Patienten mit Beschwerden der Lendenwirbelsäule stärker betroffen waren als bei Einengungen der Halswirbelsäule. Zusätzlich wurde in einer Kooperationsstudie mit der Klinik für Orthopädie (Dr. Valentin Quack, Oberarzt Yasser El Mansy) gezeigt, dass die Beschwerdesymptomatik zum einen vom Patientenalter und der sichtbaren Einengung in der Bildgebung, aber in hohem Maße auch von einer begleitenden Depression vorhergesagt werden kann.
Auch aus der vaskulären Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Gerrit Schubert (Dr. Walid Albanna, Dr. Catharina Conzen, Miriam Weiss, Dr. Michael Veldeman) wurden neue Ergebnisse zu neurovaskulären Erkrankungen präsentiert, zu denen es nach wie vor einen hohen Forschungsbedarf gibt.
Zu Beginn der Tagung stellte Miriam Weiss externe Ergebnisse zu den Mechanismen einer zerebralen Gefäßfehlbildung (Arteriovenöse Malformation) aus einem Forschungsaufenthalt an der University of California in San Francisco vor, die die Bedeutung des Knochenmarks bei der Entstehung der Erkrankung erstmalig identifizieren.
Dr. med. Catharina Conzen etablierte in enger Kooperation mit dem Team von Frau Prof. Dr. Ute Lindauer aus dem Bereich „Translationale Neurochirurgie und Neurobiologie“ unserer Klinik erfolgreich ein experimentelles Modell der aneurysmatischen Subarachnoidalblutung, in dem sie die Akutphase nach der Blutung untersuchte, die in der Praxis nur schwer zu charakterisieren ist. Dabei fand sie erstmalig eine Einschränkung der zerebralen Autoregulation, einem Prozess der üblicherweise die Durchblutung des Gehirns konstant hält, und bei Störungen nach der Subarachnoidalblutung zu Folgekomplikationen beitragen kann.
Zur weiteren Untersuchung der Autoregulation präsentierte Dr. Walid Albanna die experimentelle Anwendungsperspektive einer neuen Messmethode am Mausmodell, die von der Gruppe bereits in der Klinik erprobt wird und bei der durch die Analyse der Gefäße am Augenhintergrund Rückschlüsse auf den Zustand intrakranieller Gefäße gezogen werden kann.
Aber auch aus der Klinik konnten auf der Jahrestagung neue Daten im Zusammenhang mit der Subarachnoidalblutung und ihren Folgeerscheinungen gezeigt werden. So zeigte sich durch eine prospektive Analyse von Biomarkern durch Dr. Walid Albanna, dass im Rahmen der Blutung ein Abbau von Proteinen (Katabolismus) erfolgt, der den Schweregrad der Erkrankung sowie Patienten mit Folgeschäden zu differenzieren vermag. Dr. Michael Veldeman charakterisierte die Komplikationen der dekompressiven Hemikraniektomie, die bei stark erhöhtem Hirndruck unterschiedlicher Genese indiziert ist, und unterstrich die Relevanz von patienten-spezifischen Risikofaktoren in der Vermeidung von Folgeerscheinungen.
Aus der AG Netzwerke und Neuroimaging wurden durch Dr. Chuh-Hyoun Na und Dr. rer. medic. Kerstin Jütten Ergebnisse zu MRT-basierten Untersuchungen funktioneller sowie auch struktureller Netzwerkanalysen (unter Anwendung der resting-state fMRI sowie der Diffusionstensorbildgebung), sowie deren Korrelation mit spezifischen behaviouralen neurokognitiven Messgrößen bei Patienten mit zerebralen Gliomen vorgestellt. Das kognitive Leistungsniveau bei Gliompatienten zeigte sich dabei u.a. abhängig von der strukturellen und funktionellen Integrität auch tumorferner Hirnareale.
Aspekte der Klinischen Neurophysiologie wurde von Dr. Georg Neuloh und Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Katrin Sakreida in einer interessanten Studie zum funktionellen Sprachmapping mittels Transkranieller Magnetstimulation (TMS) vorgestellt. Auf der Basis von Reaktionszeit-Daten konnte eine Unterregion der motorischen Sprachregion identifiziert werden, in der phonologische Informationen, d.h. die Lautbildung und Lautverwendung in der Sprache, verarbeitet werden. Solche Daten könnten auch das TMS-Sprachmapping ergänzen, das oftmals vor einer Tumoroperation indiziert ist und helfen kann, die für die Sprachfunktionen unverzichtbaren Gehirnareale zu identifizieren.
Weitere zentrale Themen der Tagung waren die Grundlagen und Behandlung der Hirntumore sowie die Epilepsiechirurgie – zweier Themengebiete die, wie von Dr. Daniel Delev in mehreren Beiträgen demonstriert, Hand in Hand gehen können. Seine Daten aus der Klinik für Neurochirurgie in Freiburg unterstreichen die guten Ergebnisse nach Operationen von Langzeit-Epilepsie assoziierten Tumoren, verdeutlichten aber auch die Bedeutung erneuten Wachstums nach erfolgreicher Entfernung. In weiteren Beiträgen wurden Ergebnisse zur molekularen Analyse Langzeit-Epilepsie assoziierter Tumoren präsentiert, zur Epilepsiechirurgie bei lokalem Auslöser in der Hirnrinde, zum Einfluss umgebender Strukturen auf Hirntumoren, zur chirurgischen Behandlung von Hirntumoren sowie den speziellen Aspekten bei Operationen älterer Patienten. Diese Arbeiten bilden die Grundlage für zukünftige Projekte, die Dr. Delev hier an der RWTH Aachen durchführen wird.
Matthias Geiger präsentierte die Umfrageergebnisse zur neurochirurgischen Telekonsultation, d.h. die telemedizinische Beratung anderer Ärzte durch neurochirurgische Abteilungen in größeren Zentren, erhoben auf der DGNC Tagung 2017. Diese Art der Beratung ist laut der Erhebung weit verbreitet und ein Modell der Zukunft, weswegen die Gruppe um Herrn Geiger die Erstellung einer nationalen Leitlinie zur standardisierten Umsetzung vorschlägt und erarbeitet.
Im Rahmen der DGNC Mitgliederversammlung wurde Prof. Dr. Gerrit Schubert in das Amt des Sprechers der vaskulären Sektion der Gesellschaft gewählt. Prof. Dr. Hans Clusmann wurde zum Sprecher der Neurochirurgischen Akademie (NCA) gewählt.